Review: Dream Theater „The Astonishing“ Auf dem Prog-Metal-Olymp (04.03.2016, Hannover)

Auf dem Prog-Metal-Olymp. Die dystopische Lichtoper im Kuppelsaal (HCC, Hannover)

Bereits das Eintreten in die ehrwürdige Halle des Kuppelsaals im HCC Hannover verströmt den Hauch der Seriosität mit der Dream Theater ihren Auftritt wahrgenommen wissen wollen. Im durchgehend bestuhlten Saal und auf den Rängen hört mensch hier sonst eher klassische Musik. Die Lampen schweben als gewaltige Kristallzapfen im Raum. An den Bars wird eher Rotwein als Bier gereicht.

Overture

Dream Theater (Foto: Isabelle Hannemann)
Dream Theater (Foto: Isabelle Hannemann)

Die Bühne ist spartanisch ganz auf die Instrumente von John Petrucci und Co. ausgerichtet, dahinter und daneben zieren Videoscreens mit der Projektion einer Landkarte die Szenerie.

Lässt mensch den Blick durch den Raum schweifen, wird schnell klar, dass der überwiegende Teil der in den mäßig besetzten Reihen Sitzenden zur Gruppe der männlichen 30PlusXer gehört. Allenthalben zu sehende T-Shirts aus allen Phasen des Schaffens der seit 1985 bestehenden New Yorker Prog-Metal-Band, runden den Eindruck ab, dass es sich trotz oder vielleicht gerade wegen des großen internationalen Erfolges der Band fast um so etwas wie ein etwas überdimensioniertes Insiderkonzert handelt.

Sollten sich dennoch Besucher auf das Konzert verirrt haben, die vorher nur vage gehört hatten, dass Dream Theater „halt einfach irgend so eine Metalband“ seien, dürfte sich diese Idee spätestens nach den ersten Minuten des instrumentalen Intros verflüchtigt haben.

Act 1

Nein, Dream Theater sind sicher vieles aber nicht „irgend eine“ und nicht „einfach“. Hier sind Meister ihres Fachs am Werk. Die Herren Petrucci, Rudess, Mangini, Myung und LaBrie spielen auch kein Metal-Konzert im (sofern es so etwas geben sollte) klassischen Sinne. Sie zelebrieren eine Metal-Oper. Wie der Film, der im Hintergrund der Mischung aus Darbietung auf der Bühne sowie vom Band eingespielten Sounds läuft und die dystopische Handlung bebildert, so ist auch der Vordergrund perfekt abgestimmt und durchgetaktet.

Dream Theater (Foto: Isabelle Hannemann)
Dream Theater (Foto: Isabelle Hannemann)

Alles sitzt in der Show, die die ZuschauerInnen wie bei einem Kinofilm eintauchen und tief in die Sitze sinken lässt. Allenfalls die Stimme von James LaBrie rutscht gelegentlich in den hohen Lagen ein wenig aus, was aber auf Grund der sonstigen Perfektion eher zur Frage verleitet, ob nicht auch das genau so eingeplant war. Bei all dem wechseln die verwendeten Musikstile so schnell über alle Genregrenzen, variieren mit den Stimmungen der Handlung, dass manches Mal der Eindruck entstehen könnte, mensch hätte es eher mit einer Leistungsshow von Instrumental-Virtuosen zu tun, wäre da nicht die Story der Oper, die sich mal langsam fließend, mal in der Wucht des aufgebotenen Riffdonners entfaltet.

Act 2

Dream Theater (Foto: Isabelle Hannemann)
Dream Theater (Foto: Isabelle Hannemann)

Düstere Fragmente einer Zukunftsvision totaler Überwachung und Unterdrückung verdicken sich in der Geschichte mit einem mittelalterlichen Lebensstil der Bevölkerung zu einer Melange, die durchaus als Kritik an gegenwärtigen gesellschaftlichen Zuständen verstanden werden kann. Einen Ausweg aus der Leere des Alltags zwischen Gewalt und Abgestumpftheit gibt es in Petruccis Metal-Märchen nur durch echte Musik, die aus den letzten Enklaven der Freiheit dringend schließlich in die Welt und auch in den Kuppelsaal flutet. Hier sind es vor allem die unvergleichlich vielfältigen Soli des Meisters selbst und der geniale Einsatz des Keyboards von Jordan Rudess, die den Atem stocken lassen. Wundervoll harmonisch fügen sich im gesamten Konzert die live gespielten Elemente mit den untermalenden synthetischen Klängen zu einem bruchlosen Ganzen.

Am Ende des Abends hat die Band eine perfekte Show abgeliefert, die kaum Fragen offen lässt, außer vielleicht: Ist es das, was wir von einem Konzert erwarten? Ist es diese glatte lückenlose Perfektion, derer angesichtig wir staunend zurückkehren wollen in unseren Alltag? Wäre ein Konzert besser, das Platz und Unkalkulierbarkeit lässt, für einen Weg zwischen Publikum und KünstlerInnen?

Diese Fragen möge JedeR für sich selbst entscheiden.

Setlist

  1. Descent of the NOMACS
  2. Dystopia
  3. Overture
  4. The Gift of Music
  5. The Answer
  6. A Better Life 
Lord Nafaryus
  7. A Savior in the Square
  8. When Your Time Has Come
  9. Act of Faythe
  10. Three Days
  11. The Hovering Sojourn
  12. Brother, Can You Hear Me?
  13. A Life Left Behind
  14. Ravenskill
  15. Chosen 
A Tempting Offer
  16. Digital DiscordThe X Aspect
  17. A New Beginning
  18. The Road to RevolutionAct 2
  19. 2285 Entr’acte
  20. Moment of Betrayal
  21. Heaven’s Cove
  22. Begin Again
  23. The Path That Divides
  24. Machine Chatter
  25. The Walking Shadow
  26. My Last Farewell
  27. Losing Faythe
  28. Whispers on the Wind
  29. Hymn of a Thousand Voices
  30. Our N
    Encore
  31. Power Down 
Astonishing

Mehr Fotos vom Dream Theater Konzert findet ihr hier:

Links:
www.dreamtheater.net

Max Noreg
Max Noreghttps://www.be-subjective.de/
Max Noreg ist gut zu Vögeln.* Hinterm Deich mit Meersalz von Wölfen gesogen, hat der lonesome rider mit Adorno ordentlich einen durchgezogen - ostfriesischen Tee versteht sich - wobei Tee und Rum wohl in der Hauptsache die musikalische Identität des Ornitolgen Schrägstrich Rudelführers gestiftet haben. * Die Redaktion kann wegen zwielichtiger Angebote die private Kontaktadresse leider nicht veröffentlichen.

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