Review: Kurz und knackig – Touché Amoré (13.06.2023, Hamburg)

Touché Amoré machen Musik über Trauer, über Verlust, über Selbstzweifel, über Wut und darüber, wie man mit all dem umgehen kann. Gerade die letzten beiden Alben Stage Four und Lament waren eine emotionale Achterbahnfahrt, auf welche zunehmend mehr Menschen aufsteigen wollten, die sich verstanden fühlen. Und so sammeln sie sich am Abend des 13.6. in der Hamburger Fabrik, um kollektiv all diesen Schmerz und diese Wut rauszulassen.

Gegen 20:00 Uhr, es scheint noch helles Tageslicht durch die Glasdecke der Fabrik, eröffnen Boneflower, die Touché Amoré auf einem weiten Tourabschnitt begleiten. Und das passt gut, denn auch das Trio aus Madrid spielt wütenden Post-Hardcore. Mit einer tollen Energie und genügend Melodie in den doch eher härteren Songs bringen sie alles mit, was den Touché Amoré Fans gefallen könnte. In den ersten Reihen wird das mit energetischem Kopfnicken belohnt, aber die Tanzfläche bleibt noch kalt. Die Musiker sind so konzentriert in ihrem Element, dass sie zwischen den Songs kaum Kontakt zum Publikum suchen und gar nicht merken, dass sie ihr Set überziehen. So gibt es einen recht abrupten Abbruch und die Bühne wird bereit gemacht für Support No.2.

Boneflower (Foto: Thea Drexhage bs! 2023)

Wrong Man aus Belgien stehen schon kurze Zeit später bereit. Die Fabrik mittlerweile deutlich voller.  Ihr Sound längst nicht so zugänglich wie der von Boneflower. Wirklich trockener, keineswegs schlechter Post-Hardcore mit wenig Melodie wird den Gästen um die Ohren geschleudert. Und während Frontmann Bjorn Dossche durchaus versucht, mit dem Publikum zu connecten, bleibt die Stimmung ähnlich verhalten, wie zuvor. Hat das Publikum einfach einen schlechten Abend?

Nein!

Wrong Man (Foto: Thea Drexhage bs! 2023)
Touché Amoré (Foto: Thea Drexhage bs! 2023)

Denn als Touché Amoré pünktlich um 21:30 die Bühne betreten ist der Jubel in der mittlerweile gut gepackten Fabrik gewaltig. Die fünf Kalifornier lassen sich einen kurzen Moment feiern. Jeremy Bolm fixiert breit grinsend das Publikum und mit der ersten Note von Flowers and You geht es los. Die Gäste werden zu einer homogenen, wabernden Masse. Stagediver*innen erheben sich in regelmäßigen Abständen und alle sorgsam wegverstauten Gefühle werden rausgelassen. Bis auf ein paar Probleme mit dem Mikrofon ist der Sound sauber, die Band spielt nahe an Perfektion. Es wird nicht allzuviel geredet, Taten sprechen. Beim 2020 veröffentlichten Reminders, in dessen Video die Haustiere von Freunden eine große Rolle spielten, hält jemand im Publikum ein Bild des eigenen Hundes hoch, was Bolm sichtlich rührt. Auch kurz vor Ende, als er sich für den Support bedankt, ist er den Tränen nahe. Das dürfte vielen Gästen nicht anders gehen. Die Setlist ist knackig und gut gemischt. Zeit zum Verschnaufen gibt es keine. Die Masse wabert, schwitzt und schreit und plötzlich heißt es mit Limelight „Last Song“. Alles was noch an Kraft da ist, wird gebündelt.

I’m tired and I’m sore
I’m not so young anymore

Touché Amoré (Foto: Thea Drexhage bs! 2023)

Heißt es darin. Trotzdem ist es verwunderlich, dass schon nach so kurzer Zeit Schluss sein soll. Die Band verlässt die Bühne. Das Publikum fordert mehr. Und mit den beiden Zugaben Lament und dem Klassiker Honest Sleep vom Album …To The Beat Of A Dead Horse wird die Stunde Spielzeit vollgemacht. Definitiv zu kurz, aber wirklich unzufrieden sieht nach dieser grandiosen Show niemand aus.

Galerien by Thea Drexhage (bs! 2023):

Setlist Touché Amoré:

  1. Flowers and You
  2. Pathfinder
  3. And Now It’s Happening in Mine
  4. Uppers/Downers
  5. Adieux
  6. Method Act
  7. Come Heroine
  8. Benediction
  9. Reminders
  10. Anyone/Anything
  11. Palm Dreams
  12. home
  13. Rapture
  14. ~
  15. New Halloween
  16. Feign
  17. Limelight
    Encore:
  18. Lament
  19. Honest Sleep

Links:
Boneflower
Wrong Man
Touché Amoré

Thea Drexhage
Thea Drexhagehttps://www.be-subjective.de
Thea Drexhage hat Salma Hayek einiges voraus! 10 mm. Wie die meisten Frauen der Redaktion, Duffy, Beth Ditto, Joan Rivers oder Angus Young kann sie die MusikerInnen aus dem Bühnengraben also völlig problemlos sehen, wenn jemand ihren Hocker trägt, wird aber - das hat sie mit Salma dann doch wieder gemein - dennoch viel zu oft auf Ihre Körpergröße, ihre Mähne und ihre leicht misanthropischen Anflüge reduziert. Damit sie also nicht im nächstbesten Titty Twister von Sonnenunter- bis Sonnenaufgang Menschenmengen und Bläser mätzelt, halten wir “Aggro-Thea”, die zuvor ganze Landstriche in Mecklenburg Vorpommern ausgerottet hat, halbtags im spießbürgerlichen Oldenburger Exil an der langen Leine. Seither legt sich die scheißpünktliche existentialistische Besserwisserin analog mit Sartre, Camus & Kodak an und ja, auch wir müssen neidlos zugestehen, dass der Instagram-Account ihrer beiden Katzen “Salma” und “Hayek” mehr Follower pro Tag hat, als unser webzine im ganzen Jahr.

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