Review: Puhdys – ein Abend wie Seide – das große Abschiedskonzert (03.07.2015, Hannover)

 

Rum Diedel Bum Diedel Dudelsack

Heute treiben wir Schabernack

Heute wird Musik gemacht.

Einmal nur ist …

Foto: Torsten Volkmer bs!
Foto: Torsten Volkmer bs!

Es gibt Bands, die hießen mal Kapelle. Es gibt Songs, die mehr als nur Lieder sind und mehr erzählen, als sich erahnen lässt. Vielleicht nicht in einem politischen, in jedem Falle aber in einem emotionalen Sinne. An diesem Abend aus Seide, erzählen sie viel. Es ist heiß und nur Saharastaub trübt den Sonnenschein. Die Puhdys setzen Segel. Unser Schiff  erklingt und selten hat man Hannovers Publikum vom ersten Song an so glücklich mitsingen, seine Arme in die Höhe reißen und die Augen schließen sehen.

„Auf unserm Schiff, sind wir zu Haus‘

Werfen keine Anker, steigen nie aus

Die Fahrt ist lang, hört niemals auf

Wir nehmen Flauten und Stürme in Kauf.“

Foto: Torsten Volkmer bs!
Foto: Torsten Volkmer bs!

Bei 31° C im Schatten begrüßt ‚Maschine’, Dieter Birr, das Publikum. Man habe heute spontan den Saunabesuch abgesagt, um hier zu sein. Die Parkbühne strahlt bis in die letzten Reihen und wären Paul und Paula hier, ließen sie jetzt ihren Drachen steigen, Geh zu ihr und alles singt mit. Geh zu ihr. Vielleicht ist nicht jedem Urhannoveraner oder sturm- und erdverwachsenen Niedersachsen klar, dass die Puhdys nicht schnöde Ostalgie zelebrieren. Was hier zwischen Publikum und Band funkt, ist nicht nur das große „Was wäre wenn“ (alles anders gekommen wäre) des Lebens, es sind nicht die großen politischen Umbrüche, es sind unendliche Sehnsüchte, Träume, die kleinen Legenden, die unauflöslich mit den Songs der Puhdys verwachsen sind, die sich zwischen hier und dort, um damals und heute, Paul und Paula ranken. Der erste Kuss, die erste Liebe, das erste Mal .. das Herz gebrochen.

„Was für AC/DC Rosie, ist den Puhdys ihre Melanie.“

Foto: Torsten Volkmer bs!
Foto: Torsten Volkmer bs!

Der dritte Song im Set – Melanie – erinnert in der Tat auch visuell an einen aufblasbaren Altherrenwitz. Eher witzig als erotisch, reckt das überdimensionale 80s Darling seinen Mittelfinger in die Höhe. Pferdeschwanz, bauchfrei, rote Nägel, rote Lippen – ein freches Klischee. Was soll’s, dem Publikum gefällt ’s. Keine gefühlsduseligen Ansagen, eher schnodderiger Witz. Puhdys eben.

Nach 45 Jahren auf der Bühne geben sie auf ihrer Abschiedstour im letzten Drittel des Abends jedem eine Ehrenrunde auf der Parkbühne: Peter ‚Bimbo’ Rasym verabschiedet sich mit einem Basssolo, TV-Show ist wie für den „Ringo Star, den Schlagzeuger von Johannes Hesters, gemacht“, flappst ‚Maschine’ und Klaus Scharfschwerdts lässt die Sticks fliegen. Die liebe kleine Schaffnerin gehört ganz Dieter ‚Quaster’ Hertrampf und Lebt denn der alte Holzmeyer noch? – wie sollte es anders sein –  ist eine Persiflage, die ganz Peter ‚Eingehängt’ Meyer gebührt. Schließlich stellt sich Dieter ‚Maschine’ Birr mit einer gesunden Portion Selbstironie als der liebe Gott vor.

„An den Ufern der Nacht

Zieht der Tag an mir vorbei

War er gut? War er schlecht? Habe ich gelebt?

War ein Traum für mich dabei?“

Manche nennen das, was die Puhdys ausmacht eine aggressive Art der Melancholie,[1] eine die über dem Abend liegt und ihn dennoch in Leichtigkeit taucht. Wer – allen voran die Band selbst – könnte ohne sie? Eine rhetorische Frage, denn wenngleich die Konzertsaison 2014/15 ihre letzte sein wird, können die PUHDYS nicht ohne Musik oder Live-Gigs und stecken bereits in den Plänen zu einer gemeinsamen „ROCK LEGENDEN“-Tour und -CD mit den KollegInnen von City und Karat.

„Behaltet uns und diesen Abend gut in Erinnerung“ (Maschine)

Foto: Torsten Volkmer bs!
Foto: Torsten Volkmer bs!

Und wenn sie nicht gestorben wäre(n), hätten Paul und Paula heute wohl mit all den anderen gesungen, applaudiert, getanzt. Wären auf einem Feuerwerk aus Melancholie und Wunderkerzen barfuß auf dem Rasen der Parkbühne in den Abend geschwoft und hätten um dreiviertel Zehn (21:45) energisch nach Zugaben verlangt!

Ein Abend wie Seide, gemacht aus Melancholie und Saharastaub. Schön war’s.

Setlist

  1. Foto: Torsten Volkmer bs!
    Foto: Torsten Volkmer bs!

    Unser Schiff

  2. Geh zu ihr
  3. Melanie
  4. Kühle Lady
  5. Die Welt ist ein Wunder
  6. Wenn Träume sterben
  7. Ich will nicht vergessen
  8. Wilder Frieden
  9. Es war schön
  10. Sternstunden
  11. Bis ans Ende der Welt
  12. Saxophon Solo Peter Mayer
  13. Drum Solo Klaus Scharfschwerdt
  14. Abenteuer
  15. Perlenfischer / Lied für Generationen / He John / Reise zum Mittelpunkt der Erde / Sturmvogel / Ikarus
  16. An den Ufern der Nacht
    Bandvorstellung + Basssolo Peter ‚Bimbo’ Rasym
    Bandvorstellung + TV-Show Klaus Scharfschwerdt
    Bandvorstellung + Liebe kleine Schaffnerin Dieter ‚Quaster’ Hertrampf
    Bandvorstellung + Lebt denn der alte Holzmeyer noch? Peter ‚engehängt’ Meyer
    Bandvorstellung + Ich bin der leibe Gott Dieter ‚Maschine’ Birr
  17. Ich bin der liebe Gott
  18. Wenn ein Mensch lebt
  19. Lebenszeit
  20. Alt wie ein Baum
  21. Rockerrente

    Encore
  22. Hey, wir woll’n die Eisbärn seh’n
  23. Das Buch

 

Links:

www.puhdys.com

[1] http://tiny.cc/puhdys [3.7.15].

Isabelle Hannemann
Isabelle Hannemannhttp://www.isabellehannemann.net
Die missratene Hypotaktikerin wird als Redakteurin Schrägstrich Fotografin bei be subjective! geduldet, hat versucht sich als freie Autorin und Herausgeberin verschiedener Artikel und Bände im Bereich der kritischen Sozialwissenschaft für Suchmaschinen selbst zu optimieren und will – wenn sie groß ist – mal sehen. Künstlerisch als Autorin und Fotografin mit diversen Bands und AutorInnen zusammenarbeitend, Texte zu Papier, Gehör und auf die Bühne bringend. Na dann Prost Mahlzeit!

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