Most Wanted: Franzs musikalischer Jahresrückblick [2023]

#1 Album des Jahres: Joesef – Permanent Damage

Joesef: Permanent Damage (2023) Collage bs! Franz Naumann 2023

Das hätte keiner kommen sehen: Der Berliner Neuzugang betitelt ein Album über die clubbing-scene als sein Album des Jahres. Wow. Aber ich gestehe: kein anderes Album konnte mich dieses Jahr so erreichen, wie dieses. Wer mich kennt, weiß, dass ich ein großer Fan von Bedroom Pop bin. Joesef konnte diesem Genre nun nochmal eine neue Nuance verleihen, indem er die sonst sehr einfach gehaltene Produktion, durch Tricks und organische Instrumente breiter aufgestellt hat. Während Musik des Bedroom Pop Genres sonst meist auf Midi Instrumente und leichte Gitarreninstrumentals zurückfällt, orientiert sich Joesef auf Permanent Damage an verträumten und übereinander gelegten Gitarren, Samples, und einem verdammt traurigen Storytelling, um Dynamik aufzubauen und auf Albumlänge nicht an Fahrt zu verlieren. Was mich so sehr an das Album gefesselt hat, ist die pure Ehrlichkeit, mit der Joesef über vergangene ungesunde Beziehungen, seine Erfahrungen in der englischen clubbing scene und seinen eigenen Bezug zu Substanzmissbrauch spricht.

Die Ästhetik des Albums, die, der dazu gehörigen Fotografien und die Wirkung der Musikvideos, könnte aus meinen eigenen Pinterest Moodboards stammen, sodass ich einfach auch nicht müde werde, durch das zugehörige Fotobuch zu blättern. Fans von deprimierender Musik werden sich nach Songs wie It’s Been A Little Heavy Lately, Blue Car und Borderline die Hände reiben, weil sie diese nicht mehr auf ihren Playlisten missen wollen. Das Album nimmt Hörer*innen mit auf eine Reise, die schnell zu einer gewissen Form der Nostalgie einlädt. Ich erwischte mich selbst immer wieder, wie ich mental zurück in frühere Jahre meiner Jugend ging und über ähnliche Abende anfing, nachzudenken. Wisst ihr noch, wie die ersten Abende mit dem Crush in der Jugend abliefen? Seid ihr bereit, genau diese Abende nochmal zu besuchen? Dann lasst euch in die Melancholie von Permanent Damage fallen und dankt mir später.

Honorable mentions: „The Rise and Fall of a Midwest Princess” von Chappell Roan, “Holy Waters” von Puma Blue und “Gag Order” von Kesha

#2 Konzert des Jahres: Sophie Ellis-Bextor (6. März 2023 / Live im Kesselhaus)

Sophie Ellis Bextor (Foto: Franz Naumann bs! 2023)

Wenn ich eine Künstlerin dieses Jahr für mich neu entdecken konnte, dann ist es die britische Musikerin Sophie Ellis-Bextor! Mein bester Freund gab mir am Anfang des Jahres einen Crash Kurs durch ihre früheren Erfolge und schnell begann ich, mich in ihr Leben einzulesen, ihre Diskografie zu erforschen und ihre heiß begehrten Schallplatten in meine Sammlung hinzuzufügen. (Was ich beispielsweise sehr schnell lernte, an ihr zu schätzen: Sie ist ein riesiger Nerd und sie liebt Ketchup genau so sehr wie ich) Das Konzert im Kesselhaus folgte dann im März. Bereits in den Lockdown Jahren, begann Sophie Ellis-Bextor kleine Online Konzerte zu teilen mit dem Namen The Kitchen Disco, in denen sie verschiedene eigene Songs, aber auch Cover bekannter Pop Songs für die Fans vortrug. Zu Gast waren immer eins ihrer fünf Kinder, oder ihr Ehemann, Richard. Beim Konzert in Berlin kämpfte sie mit einer Erkältung, die „sie sich von einem ihrer Kinder holte UGH“. Davon ließ sie sich aber nicht abhalten, einen Abend der Extraklasse abzuliefern.

Die Queen der Diskomusik, bot einen perfekten Mix aus Klassikern, Covern und zeigte auch den ersten neuen Song Breaking the Circle, vom damals noch unveröffentlichten neuen Album. Ihr Humor war absolut brilliant und ich habe bei kaum einem anderen Konzert so eine gute Laune gehabt, wie an diesem Abend. Das lag vielleicht auch daran, dass die Musikerin machte, worauf sie Lust hatte, wenn beispielsweise einer der Zufallsongs vom Glücksrad auf der Bühne nicht in ihr Programm passte, oder wenn sie darauf einfach keine Lust hatte. Sophie Ellis-Bextor zeigte sich stets nahbar, punktete mit einer großen ironischen Distanz und hatte den größten Spaß bei ihrem ersten Deutschlandkonzert nach 20 Jahren (!). Ich denke noch heute gern daran zurück, wie sie mich nach dem Konzert im feinsten britischen Akzent fragte „So… What’s your name, hun?“. Die Kirsche auf der Torte war dann übrigens, dass ihr Ehemann das nebenstehende Foto auf seinem Account geteilt hat.

Honorable mentions: „Permanent Damage Tour” Live im Lido von Joesef, “The Land is Inhospitable and So Are We” Live im Babylon von Mitski, “Tomorrow’s Fire Tour” Live im LARK von Squirrel Flower und die „I Inside the Old Year Dying Tour” Live im Admiralspalast von PJ Harvey

#3 Festival des Jahres: Reeperbahn Festival (20. – 23. September 2023)

VØR (Foto: Franz Naumann bs! 2023)

In diesem Jahr war ich auf insgesamt vier Festivals. Das Beste war gleichzeitig auch mein erstes Festival außerhalb von Berlin: Das Reeperbahn Festival. Nach Hamburg pflege ich nun schon seit einigen Jahren eine Side-Kick Beziehung, sodass ich mich über jeden einzelnen Tag freue, den ich in dieser schönen Stadt verbringen darf. Was mich total verblüfft hat über dieses Festival, waren die endlosen Möglichkeiten. Dieses Festival war übrigens auch der Anfang meiner Reise in die professionelle Musikfotografie. Die Zeit des Festivals ist in meinem Kopf verschwommen wie drei Tage am Stück, ohne Schlaf, ohne Essen, ohne irgendwas Anderes. Musik, Shows, Networking, neue Menschen kennenlernen, Freunde und Bekannte Personen aus Berlin an den merkwürdigsten Orten in Hamburg treffen, noch mehr Musik, zwei bis drei verschiedene Outfits am Tag aussuchen und oh…, vielleicht habe ich pro Tag 12-25 Club Mate getrunken (es könnten auch mehr gewesen sein).

Die Newcomer*innen, die ich bei dem Festival kennenlernen durfte, laufen immer noch regelmäßig in meinem Apple Music, oder finden ihren Weg auf den Plattenteller. Manche Bands und Artists kannte ich schon mehrere Jahre, andere lernte ich erst hier bei den Gigs kennen. Das erste Konzert, das ich je professionell fotografiert habe, war der Gig von VØR am letzten Tag, den ich sowohl on-stage, als auch back-stage ausschließlich mit meiner 10-Jahre alten Digitalkamera) begleiten durfte. Das beigelegte Foto stammt von diesem Auftritt. Nach dem Festival brauchte ich erstmal zwei Wochen um zurück in das normale Leben zu finden. Ich freu mich jetzt schon riesig auf das kommende Jahr. Diese Madness kann nur das Reeperbahn Festival – das bestätigten mir auch nochmal meine Freunde.

Honorable mentions: Tag 1 vom Pop-Kultur Festival

#4 Musikalischer Vorsatz für 2024

2024 möchte ich dafür nutzen, weiter zurück zu reisen in meine Emo-Jugend. Ich möchte weitere Bands neu entdecken, die ich damals liebte, aber dann irgendwie vergessen habe. Dieses Jahr habe ich bei einigen „Neuentdeckungen“ gemerkt, wie viel Nostalgie einige Songs und Alben in sich tragen, und ich glaube, dass das es da noch weitere vergessene Goldstücke gibt. Beziehungsweise möchte ich nun auch tiefer in die Inspirationen meiner Lieblingsbands eintauchen. Eine meiner meistgehörten Sängerinnen des Jahres ist Nico, weil ich erst am Ende des letzten Jahres herausfinden durfte, wie einmalig und besonders sie als Person und ihre Musik ist. Abgesehen davon, habe ich den großen Wunsch, ein Album/EP Cover zu fotografieren (a boy can dream).

Als Teil unserer Beitragsreihe Reingehört haben unsere Redakteur*innen Monat für Monat ihre Lieblingssongs in unserer Spotify Playlist bs! Songs of 2023 gesammelt und daraus einen zufällig ausgewählten Song am Ende des Monats kurz und knapp reviewt.

Wenn ihr Wissen wollt was unsere Redaktion dieses Jahr sonst so gehört und gefeiert hat dann schaut gerne in die anderen Jahresrückblicke unserer Redakteur*innen rein oder checkt unsere Spotify Playlist  bs! Songs of 2023 mit allen Lieblingssongs 2023 aus.

Franz Naumann
Franz Naumannhttp://www.be-subjective.de
Franz wird auch oft einfach Dino(junge) genannt, denn wenn er einmal anfängt, von Dinos zu erzählen, hört er so schnell nicht mehr auf. Passend zu seiner Liebe für MySpace & Tumblr, könnte man meinen, dass Franz in der Zeit stehen geblieben ist, aber vielleicht ist es auch einfach eine grosse Portion Nostalgie. Er liebt analoge Fotografie & kennt Pop-kulturelle Momente & die Indie-Szene so gut, wie die Welt der Dinos. Schwarz ist die einzige Farbe, die er trägt, weil „alles Andere in Berlin einfach gefährlich ist“. Und wenn er nicht gerade mit seiner Fuji vom Fotograben aus fotografiert, gibt er viel zu viel Geld für Schallplatten aus.

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