Review: Marika Hackman im Hole44 – Neukölln auf einmal ganz ruhig (11.04.2024, Berlin)

Marika Hackman präsentierte am Donnerstag, den 11. April 2024, keinen Big Sigh. Sie zeigte eine in sich selbst vollständig konträre Intensität aus bedrückten, zuversichtlichen und schlichtweg starken Emotionen, für die es kaum möglich ist, sie in nur einem Wort zusammen zu fassen. Die einmalige Mischung aus den Songs vom neuen Album Big Sigh und bereits bekannten Songs von früheren Alben, hielt das gesamte Hole44 in einer Stille, die nur unterbrochen wurde durch das Quietschen von Marikas alten Gitarre und ihr Schmunzeln darüber.

Neukölln auf einmal ganz ruhig

Gia Ford (Foto: Franz Naumann bs! 2024)

Neukölln und das Hole44 passte als Veranstaltungsort überraschend perfekt in die gebündelte Widersprüchlichkeit des Abends. Ein gesamtes Publikum, welches träumt, bedächtig zuhört und kaum einen Ton von sich gibt in Berlin‘s lautestem und schnellstem Bezirk. Der Abend wurde eröffnet von Gia Ford, welche das Publikum mit ihrem zeitlosen Americana-Pop schnell begeistern konnte. Begleitet wurde sie vom Gitarristen Conor Houston, welcher Gia auch stimmlich anteilig unterstützte. Gia Ford nutzt für ihre Songs meistens die Geschichten und Erlebnisse anderer Menschen, baut diese mit eigenen Perspektiven aus und taucht so tief wie möglich in diese Vorstellungen ein. So wie auch einst Marika Hackman, startete Gia ihre Karriere bei dem Label Dirty Hit im Jahr 2020. Nach einigen kreativen Differenzen, begann sie ihre Independent Karriere und entdeckte ihre Liebe für ihren aktuellen Americana Sound. Wer Bands und Artists wie Fleetwood Mac, Joni Mitchell oder Laura Marling mag, sollte unbedingt die letzten Singles von Gia Ford anhören, um up-to-date zu bleiben, sobald endlich ihr Debüt-Album erscheint. Gia selbst verfolgte gemeinsam mit Conor anschließend den Rest des Konzertes vom Balkon oberhalb des Venues.

Gia Ford (Foto: Franz Naumann bs! 2024)

Auf der Bühne mit alten Turnschuhen

Marika Hackman (Foto: Franz Naumann bs! 2024)

Nach einer kurzen Pause, wurden dann die Bühnenlichter gedimmt und die Eröffnung The Ground vom Album Big Sigh schellte aus den Lautsprechern im Venue. Das Instrumental setzte ein perfektes Fundament für die folgenden Songs, da es ein ganz explizites Gefühl von Dynamik erzeugte. So, wie auch die Songs vom aktuellen Album, bewegte sich die Setlist von immer irgendwo zwischen Angst, Sorgen, emotionale Nöte und queerer Intimität. Marika ist dafür bekannt, stets offen und ehrlich über ihr eigenes Leben zu schreiben und dabei eine wahre Ehrlichkeit innerhalb ihrer eigenen Verletzlichkeit zu vertreten. Nichts ist wichtiger für sie, als immer authentisch sie selbst zu sein – selbst, wenn das heißt, dass sie sich selbst mit Ironie begegnet, sie über ihre eigene Imperfektion lacht, oder dass sie die Bühne einfach in ihren alten Turnschuhen rockt. „Es ist viel einfacher, man selbst zu sein, als eine Rolle zu spielen“.

Marika Hackman (Foto: Franz Naumann bs! 2024)

Überraschend vertraut

Marika Hackman (Foto: Franz Naumann bs! 2024)

Genau dafür wurde sie vom Publikum geliebt, welches sich an jedes Wort hängte, welches sie auf der dunklen Bühne sang. Ganz explizit erinnerte mich diese eindringliche Ruhe an das Squirrel Flower Konzert (hier unsere Review), welches fast genauso ruhig, in sich gekehrt und besonders war. Ebenso, wie am Abend vom Squirrel Flower Konzert, wurde die Ruhe innerhalb des Venues nämlich nur dann unterbrochen, wenn Marika Hackman innerhalb der Präsentation der großen Depression Witze machte, oder über das Quietschen ihrer eigenen, alten Gitarre lachen musste. Auch ein kleiner Texthänger bot die Gelegenheit für einen lustigen Moment. Durch die Hilfe aus der ersten Reihe, fand sie glücklicherweise wieder schnell zurück in ihren Song. Neben eigenen Songs, coverte sie auch Between the Bars, welches im Originalen von Elliott Smith stammt. Es war offensichtlich, wie sich Marika Hackman in die starke Eindringlichkeit ihrer eigenen Songs legte, und wie gekonnt sich ihre sanfte Stimme in die kraftvolle Live-Instrumentation einfügte. Die Band, bestehend aus Drummerin Jessica Batour, Bill Waylor an den Keys und Bassistin Jelly Denniston, brachte gekonnt die lebhafte Klangwelt von Marikas Musik rüber. Sanftes tritt auf ruhiges, trifft auf großes, trifft auf alles. Neben einem wirklichen Gefühl für Raum, ist es in der aktuellen Ära nämlich wichtig, von persönlichen und ruhigen Momenten auch einen Ausgleich aus Lautstärke und dem großen Ganzen zu finden. Je intensiver die Songs werden, umso mehr hat Marika Hackman nämlich das Gefühl, dass sie es geschafft hat, Musik zu machen, mit der man sich wirklich verbinden kann.

Marika Hackman (Foto: Franz Naumann bs! 2024)

„Das ist jetzt der Teil, wo wir kurz von der Bühne gehen würden, aber das machen wir jetzt heute einfach mal nicht. Ich würde euch doch niemals belügen.“, sagte Marika, lachte kurz und startete dann ihre letzten zwei Songs The Yellow Mile und Any Human Friend. Nach dem Konzert durchkreuzte sie für eine kurze Zigarettenpause das Publikum in einem langen Mantel und freute sich dann, über Gespräche mit den Fans, machte Fotos und signierte verschiedene Dinge. Der Abend hallt sicherlich für die meisten Fans noch lange mit einem warmen, wohligen Gefühl nach.

Das neue Album Big Sigh erschien am 12. Januar 2024 über Chrysalis Records.

Galerien (by Franz Naumann bs! 2024):

Setlist Marika Hackman:

Marika Hackman (Foto: Franz Naumann bs! 2024)
  1. The Ground
  2. No Caffeine
  3. I’m Not Where You Are
  4. Ophelia
  5. Big Sigh
  6. Gina’s World
  7. Hanging
  8. Claude’s Girl
  9. Cigarette
  10. Between the Bars
  11. Before I Sleep
  12. Let Me In
  13. Blood
  14. Slime
  15. Conventional Ride
  16. Hand Solo
  17. Boyfriend
  18. The Yellow Mile
  19. Any Human Friend

Links:
https://marikahackman.com/
https://giaford.co.uk/

Franz Naumann
Franz Naumannhttp://www.be-subjective.de
Franz wird auch oft einfach Dino(junge) genannt, denn wenn er einmal anfängt, von Dinos zu erzählen, hört er so schnell nicht mehr auf. Passend zu seiner Liebe für MySpace & Tumblr, könnte man meinen, dass Franz in der Zeit stehen geblieben ist, aber vielleicht ist es auch einfach eine grosse Portion Nostalgie. Er liebt analoge Fotografie & kennt Pop-kulturelle Momente & die Indie-Szene so gut, wie die Welt der Dinos. Schwarz ist die einzige Farbe, die er trägt, weil „alles Andere in Berlin einfach gefährlich ist“. Und wenn er nicht gerade mit seiner Fuji vom Fotograben aus fotografiert, gibt er viel zu viel Geld für Schallplatten aus.

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