Review: Unzuchts Heimspiel zum Abschluss der Neuntöter Tour (10.12.2016, Hannover)

Über einen Monat lang tourten Unzucht mit neuen Songs aus der neuen Platte „Neuntöter“ durch England, Frankreich und schließlich auch Deutschland. Schlusslicht der Tour ist das Béi Chéz Heinz, einer der Undergroundszeneclubs in Hannover, der allen Widrigkeiten zum Trotz die Anlaufstelle für ganz besondere Konzerte ist. Durch eine Stahldoppeltür betritt mensch das Chéz Heinz und wird durch einen breiten Gang eine Treppe abwärts geführt.

Schon beim Hinabsteigen ist elektronische Musik zu hören. Und erst als das Innere des Clubs erreicht ist, stellt sich heraus, dass dies schon der Supportact Randolph‘s Grin ist, der tatsächlich schon eine halbe Stunde vor Konzertbeginn angefangen hat zu spielen. Sängerin Adelheid Winkler wirkt mit ihrem leicht gebrochenen Deutsch sympathisch, ihr Bandkollege Robert Bowman erscheint mit aufgesetzter Maske auf den ersten Blick eher etwas unheimlich. Den wenigsten KonzertbesucherInnen fällt wohl während ihrer Performance auf, dass der Maskenmann zu jedem Song und der vorherrschenden Lichtstimmung eine farblich darauf abgestimmte Maske aufsetzt. Ein nettes Gimmick, welches nicht sofort ersichtlich ist. Das Publikum scheint allerdings generell nicht wirklich begeistert zu sein, wirkt statisch. Trotzdem betont Adelheid immer wieder, wie toll das Publikum sei und dass sie froh sei, hier zu spielen.

„Ein Tag Wie Jeder Andere“

Randolph`s Grin (Foto: Dragana Urukalo bs!)

Musikalisch erinnern Randolph‘s Grin an eine unrockige Variante von The Birthday Massacre und können damit beim Publikum leider nicht landen. Als Sängerin Adelheid zum Abschluss dann ein Duett zu Unzuchts „Ein Tag Wie Jeder Andere“ mit Daniel Schulz ankündigt, entpuppt sich das Publikum plötzlich als wahnsinnig feierwütig. Auch der Rest der Band steigt mit auf die Bühne, bringt dabei sogar Bunte Bänder, Partyhüte, Tröten und Luftballons mit und treibt allerhand Schabernack mit den Instrumenten von Robert Brownman.

Als zweite Vorband wird uns Das Scheit präsentiert. Der erste Gedanke, es könnte sich um eine Deutsche Rockband handeln, löst sich schnell in Luft auf. Die Lyrics sind nicht Deutsch und in die Richtung Rock geht das Ganze auch nicht. Die Bühne bleibt zappenduster und die Lichttechnik hat in der Zwischenzeit auch vergessen, welche Regler – neben dem für Rot – noch so existieren und über das Monitoring läuft sogar die ganze Zeit über noch das Radio.

Der Unterschied zwischen Randolph’s Grin und Das Scheit ist frappierend.

Das Scheit (Foto: Dragana Urukalo bs!)

War der erste Supportact noch irgendwie tanzbar, ist der musikalische Wechsel zu Das Scheit und ihrem sehr eigenen, kratzigen Gesangsstil und äußerst krass. Außerdem haben es nur zwei ureigene Bandmitglieder geschafft, auf die Schnelle anzureisen, für den Rest kam die kurzfristige Zusage für diesen Supportslot zu spät. Zusammengenommen leider kein sehr vorteilhafter Auftritt der Band. Nachdem die Das Schreit dann von der Bühne sind, findet ein ausführlicher Umbau statt, bei dem sogar Fehlersuche bei einem Wackelkontaktgeplagtem Mikrofon von Daniel Schulz betrieben wird.

Währenddessen wird das ungeduldige Publikum mit merkwürdiger Mix Rap Songs und Gwen Stefani getröstet. Ohne Mikro geht eben nix.

Dann dürfen auch endlich Unzucht für ein letztes Mal auf dieser Tour auf die Bühne.
Die Crowd jubelt laut als die Band auf der Bühne steht und das sympathische breite Grinsen auf Daniel Schulz‘ Gesicht lässt merken, dass er es genießt, der Heimat gleich so richtig einzuheizen. Das Chéz Heinz ist mittlerweile total durchgeheizt und stickig: Die niedrige Decke lässt nicht viel Platz zur Luftzirkulation und die mit Unzucht-Fans überfüllte Tanzfläche trägt auch nicht wirklich positiv dazu bei. Wer hier trocken bleibt, hat nicht getanzt.

Unzucht (Foto: Dragana Urukalo bs!)

Sehr erfreulich an diesem Abend ist die großzügige Songauswahl vom neuen Album Neuntöter, denn die Hälfte der Setlist beinhaltet Songs von ebendiesem Album. Das freut wohl auch den Großteil der KonzertbesucherInnen, denn die Stimmung kocht und dem Unzucht Frontmann ist anzusehen wie überwältigt er von der schwitzenden und gutgelaunten Meute ist.

Unzucht (Foto: Dragana Urukalo bs!)

Bassist Blaschke hingegen lässt in der Zwischenzeit auf die verschwitzte Nähe des Publikums ein und verschwindet so tief im Menschenmeer, dass Daniel Schulz ihn nur durch sein Winken noch orten kann. Während des Konzertes weist Daniel Schulz noch darauf hin, dass der Club Béi Chéz Heinz durch die geplante Sanierung des Fössebades gefährdet ist und deutet auf den Hashtag #HeinzMussBleiben auf dem Balken, der die Bühne teilt.

#HeinzMussBleiben

Kurz vor Ende ruft er beim Song „Nur die Ewigkeit“ zum Erheben der Arme und zum Gedenken all derer auf, die nicht mehr unter uns weilen. Die kochende Stimmung wird etwas gedrückt und die Gänsehautmomente nehmen überhand.

Und da wo ein Freund einst war
Ist nur große Leere da
Und wir glaubten wir haben Zeit
Doch Zeit hat nur die Ewigkeit

Unzucht (Foto: Dragana Urukalo bs!)

Nach „Ein Wort Fliegt Wie Ein Stein“ geht die Band dann tatsächlich von der Bühne und lässt sich mit Zugabe-Rufen wieder auf die Bühne holen. Dabei wirken die drei zusätzlichen Songs wieder extrem kurzweilig und eh man sich ’s versieht, ist der letzte Unzucht Gig 2016 bedauerlicherweise auch schon vorüber.

Randolph’s Grin kommen dann noch einmal auf die Bühne und nach einem Foto mit dem Publikum wird zu Musik und Bier noch das Ende des Abschlusskonzerts gefeiert. Der Abend hätte locker noch einige Stunden weitergehen können, doch die Unzüchtigen haben sich nach dieser Tour ihren Feierabend wirklich verdient. #HeinzMussBleiben 

Text: Dragana Urukalo

Galerien:

Setlist Das Scheit:

  1. So Far From God
  2. Goodbye To Tonight
  3. Sick
  4. Down In The Depths
  5. The Pain Is Yours
  6. Fallen Empires
  7. Velvet Tears
  8. Hollow
  9. Coming Up Roses

Setlist Unzucht:

  1. Der Dunkle See
  2. Widerstand
  3. Lava
  4. Unzucht
  5. Der Untergang
  6. Deine Zeit Läuft Ab
  7. Kind Von Traurigkeit
  8. Schwarzes Blut
  9. Der Letzte Tanz
  10. Neuntöter
  11. Schweigen
  12. Kettenhund
  13. Seelenblind
  14. Nur Die Ewigkeit
  15. Ein Wort Fliegt Wie Ein Stein
    Encore
  16. Unendlich
  17. Meine Liebe
  18. Engel Der Vernichtung

Links:
www.unzucht-music.com
www.das-scheit.de
www.randolphs-grin.com
www.beichezheinz.de

be subjective!
be subjective!https://www.be-subjective.de
be subjective! music webzine est. 2001 Live-Berichte und Konzertfotos stehen bei uns im Fokus. Die richtigen Wort für neue Töne, musikalische Experimente, Stimmungen in Bildern gebannt, Mega Shows in neuen Farben. Der Atem in deinem Nacken, die Gänsehaut auf Deiner Haut, der Schweiß durchtanzter Nächte zum Miterleben und Nachbeben. Interviews mit Bands und MusikerInnen.  be subjective! aus der Musikszene für mehr Musikkultur. 

Weitere Artikel

Ähnliche Beiträge

Review: Hinten ist auch ganz gut – DeWolff live (06.11.2023, Hannover)

Konzerte an Montagen sind ja immer etwas Besonderes. Das...

Preview: Kein Widerspruch – jung und analog – DeWolff live (2023)

Heutzutage ist alles digital. Für jeden Furz gibt es...

Review: Warum Kommasetzung wichtig ist – Rockharz (2022)

Die kurze Version zum Rockharz 2022: Metal is back...

Preview: Auf zum Rockharz – Lasst uns den Teufelsberg anheulen! (2022)

Sollte es wirklich wahr sein? Könnte der Sommer 2022...