Review: Mehr Glück als Verstand – Ein Kommentar zu Sondaschule im Forum (23.11.2018, Bielefeld)

Wenn man freiwillig zurück zur Schule geht, kanns ja eigentlich nur Sondaschule sein. Auf dem Stundenplan heute stehen Deutschrock und Punk aus dem Ruhrpott. Das Klassenzim…ähh…das Forum ist voll bis auf den letzten platz – restlos ausverkauft. Der Abend verspricht interessant und vor allem gut zu werden. Im Endeffekt beinhaltet er mehr Glück als Verstand und hätte alles andere als glimpflich ausgehen können. Was genau passiert ist… es folgt ein halber Konzertbericht und ein halber Kommentar.

Rhythmische Bewegungsgymnastik

Pott Riddim (Foto: Rune Fleiter bs! 2018)

Knie und Nacken wippen im Takt, unaufgewärmt soll man keinen Sport machen. Rhytmische Bewegungsgymnastik grooved in den Abend ein. Pott Riddim ordnen die Klasse. Alle machen mit, alle singen mit. Zumindest die, die nicht mehr an Garderobe und Bar Schlange stehen. Von Rap bis Offbeat, dem rockigen Unterton treu ein würdiger Konzertbeginn.

Luftballons sind yeah!

Umbaupause. Mittlerweile ist das Forum bis auf den letzten Platz besetzt. Von vor der Bühne bis zum Merchandise, von der Bar bis zum kleinen Nebenraum dicht an dicht. Ein großer Luftballon fliegt durch die Luft. Er platzt. Buh-Rufe und Pfiffe schlagen in Jubel um, als ein neuer Ballon durch die Luft tanzt. Das Spektakel wiederholt sich mehrfach.

„Wir stehen nicht so auf Politik,

am liebsten machen wir Musik,

seit wir bei der Sondaschule sind.“

Intro. Heiß. Voll. Eng. Gedränge nach vorne. Partystimmung am Siedepunkt. Und immer wieder der Druck nach vorne. Konzert eben. Es geht ums Ganze.

Vom ersten Ton des Intros an kocht die Menge, der Wellenbrecher wackelt bedrohlich und gibt schlussendlich nach.

Sondaschule (Foto: Rune Fleiter bs! 2018)

An dieser Stelle schlägt der Spaß (zumindest für mich und meine Kollegen) um und der Konzertbericht wandelt sich in einen Kommentar zur Lage des Abends.

Vorweg 1: Keinesfalls richtet sich die folgende Kritik an die Band oder das Publikum. Die Show war wunderbar, die Zuschauer ausgelassen am Feiern (sich und Sondaschule), der Auftritt ein wahrer Augen- und Ohrenschmaus.

Sondaschule (Foto: Rune Fleiter bs! 2018)

Vorweg 2: Das Forum ist bekannt als eine kleine, aber feine, Konzertlocation nahe des Bahnhofs von Bielefeld und als diese (eigentlich) wärmstens zu empfehlen. Ich habe hier schon viele Künstler live gesehen und war bislang immer von Angestellten, Ton, Sicht auf die Bühne etc. sehr angetan. Viele der Konzerte finden ganz ohne Fotograben statt, was eine besondere Intimität zwischen Band und Publikum erlaubt. Selten sieht man Securities prominent im Vordergrund, eher halten sie sich im Hintergrund und greifen ein, wenn es wirklich nötig ist. Zum Glück wird es selten „richtig nötig“. Wenn es dann aber so ist, sollte man sich auf die Crew des Ladens verlassen können.

Wenn ein Konzert ausverkauft ist, wird es voll. Das ist offensichtlich. Und dass man bei einem Konzert als Publikum nicht starr stehen bleibt, sondern ausgelassen tanzt, feiert und dabei eben auch nach vorne (ergo gegen den Wellenbrecher) drückt, sollte ebenso offensichtlich sein. So sollte man (zumindest nehme ich das an), als Veranstalter darauf achten, dass eben dieser Wellenbrecher richtig installiert und mit den zugehörigen Schrauben fixiert ist. Das scharfe Kanten mit Tape abgeklebt werden, um ein Verletzungsrisiko zu minimieren. Und das man Securities einstellt, die wissen, worauf es bei einem vollen Konzert ankommt.

Sondaschule (Foto: Rune Fleiter bs! 2018)

Nur einen halben Song hat es gedauert, bis der Wellenbrecher zu Schwanken beginnt. Nun ja, dieses an sich ist nicht ungewöhnlich. Das ein Wellenbrecher selber innerhalb der ersten 2 Songs bricht, passiert deutlich seltener. Das er zusammenbricht, weil er nicht fixiert (sondern nur geklemmt) wurde, ist hingegen bei sorgsamen Veranstaltern nahezu ausgeschlossen. Nach einigen halbherzigen Versuchen den Wellenbrecher während der ersten 3 Lieder wieder zu fixieren (ja, die Fotografen sind weiterhin im Fotograben und werden nicht informiert), entscheidet man sich dazu, sich einfach locker gegen das Gitter zu lehnen. Erst Songs später wird ein dritter Security dazu geholt, weitere Lieder verstreichen, bis weiteres Personal die Lage am Graben betrachtet… Das in der Zeit nichts Schlimmeres passiert, der Wellenbrecher komplett zusammenstürzt und wohlmöglich noch Fotografen im wahrsten Sinne des Wortes in den Rücken fällt, reines Glück.

Ein ungutes Gefühl tut sich auf. Nicht nur, dass den Zuschauern in der ersten Reihe mehrmals beim Zurückdrücken des Gitters die Füße eingeklemmt werden, Im Fall von Crowdsurfern ist kein Tritt sicher fixiert, um diese dort vom Sicherheitspersonal aufzufangen. Und natürlich lassen die ersten nicht lange auf sich warten.

Sondaschule (Foto: Rune Fleiter bs! 2018)

Was die Securities lernen mussten: Nein, Crowdsurfer lassen sich nicht mit sanften Gesten davon überzeugen, wieder nach hinten getragen zu werden. Sie müssen vorne aufgefangen werden und das bestenfalls so, dass sie nicht auf den Kopf fallen. Motivation dazu, oder auch eine Ahnung davon, zeigen die Jungs im Graben allerdings nicht. Der traurige „Höhepunkt“ der Aktion: ein großer (weit über 1,80m) männlicher Crowdsurfer, der direkt vor meinen Augen einfach durch die Securities ignoriert wird (vielleicht löst er sich ja in Luft auf…). Vielleicht kann man dieses als unüberlegte Kurzschlussreaktion deuten, aber bevor jemand vom Publikum auf einen halb aufgebauten Wellenbrecher stürzt, springe ich ein. Das ich meinem Kollegen noch hilfesuchend auf die Schulter getippt habe, weiß ich nicht mehr. Zwei Journalisten, beide knappe 1,70m, übernehmen den Job der Jungs, die keine zwei Meter weiter links weggucken.

Für diesen Abend habe ich genug. Während ich meine Sachen packe wird der Wellenbrecher mit Kabelbindern zusammengebunden. Dass diese innerhalb der nächsten paar Songs wieder zerreißen, erfahre ich später von einer Kollegin, die noch länger blieb.

Auch noch Tage nach dem Konzert bin ich schockiert über die unprofessionelle Vorbereitung der Veranstalter, entrüstet über die Unfähigkeit der Securities und froh darüber, dass nichts Schlimmeres passiert ist. Ich werde auch weiterhin ins Forum gehen und hoffen, dass alle Beteiligten aus diesem Abend gelernt haben. Ebenso hoffe ich, dass die meisten Konzertbesucher ein besseres Erlebnis hatten als ich.

In diesem Sinne: be subjective! Stay subjective!

Galerien (by Rune Fleiter bs! 2018):

Setlist Pott Riddim

  1. Hallo Alkoholproblem
  2. Pottblach
  3. Alle Machen Mit
  4. Kopp Kaputt
  5. Nie Mehr Arbeiten Gehen
  6. Punch
  7. MHCST
  8. Grober Unfug
  9. Asi Doch Mit Stil

Setlist Sondaschule

  1. Sondaschule
  2. Neue Welt
  3. Waffenschein Bei Aldi
  4. Durch Deine Augen
  5. Hängematte/ Sommer Sonne Strand und Meer
  6. Manchmal Läuft
  7. Alkoholsucht
  8. Is Mir Egal
  9. Arschlochmensch
  10. Es Stinkt In Dieser Stadt
  11. Lass Uns Los
  12. So Schön Scheiße
  13. RIP Audio
  14. Palermo
  15. Mond
  16. Freizeitpark
  17. Bestes Schlechtes Vorbild
  18. Alles Gute
  19. Sklave Der Uhr
  20. Amsterdam
  21. Mühlheim Ruhr
  22. Schere Stein Papier
  23. Dumm Aber Glücklich
  24. Zu Kurz Um Lang Zu Denken
  25. Für Immer Nie Nüchtern
  26. Pommesbude
  27. Bist Du Glücklich

Links:
http://www.sondaschule.de/home/
https://www.facebook.com/pottriddim/

Daphne Dlugai
Daphne Dlugaihttps://www.be-subjective.de
Daphne Dlugai. Eine lebendige Mindmap aus einem Kessel Buntes, läuft wie ein Duracellhäschen, wenn man Kaffee, kaffee, kaffee (hier als Nomen, Verb und Adjektiv verwendet) in ihr System kippt. Oder Schokolade. Im Herzen eine Disneyprinzessin (definitiv Mulan, die anderen sind zu girly),  im echten Leben Teilzeitcholerikerin, audiophil Vinyladdicted und ist Daphne ein bisschen sonderbar. Oder war es Sonderpädagogin? Wir wissen es nicht so genau. Man munkelt sie ist wegen Schokolade auf Bewehrung und versucht diese Schwäche mit Bastelkram zu kompensieren. Funzt! Alles ist schöner mit Kerzen! Sogar Kerzen.

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