Review: Volle Ladung – Arch Enemy heizen die Große Freiheit hoch (29.01.2018, Hamburg)

Den ganzen Tag fegt schon ein Sturm über Norddeutschland, so auch durch die Hansemetropole, als wolle er das energiegeladenste Konzert des Abends ankündigen. Arch Enemy machen nun auf ihrer Europatournee in Hamburg halt und haben Wintersun, Tribulation und Jinjer mit im Gepäck. Da die Schleswig-Holsteiner/innen und Hamburger/innen winderprobt sind, beweisen sie mit einer sehr schnell ausverkauften Lokation. Die Grosse Freiheit 36 war zu Begin dieses Jahres eine der ersten Schuppen, bei dem es hieß Sold out!

Es ist früher Abend, eigentlich zu früh, wie man von Stimmen der auf den Einlass wartenden entnehmen kann. Denn um 17:30 Uhr vor einem Laden zu stehen und auf ein Konzert zu warten ist schon befremdlich aber bei drei Supportacts vielleicht doch verständlich. Viele sind noch nicht da. Mag sein das die einen noch arbeiten müssen, denn es ist ja Montag, oder liegt es an der HVV die durch den Sturm das komplette S-Bahnsystem lahmgelegt hat? Niemand kann es genau sagen. So füllt sich die Halle erstmal langsam und erste Trauben bevölkern die Tresen und Merchstände. Es fällt auf, dass überall Rauchverbot Schilder hängen. Sogar in den Raucherlounges. Dieses ist wahrscheinlich auf die gesundheitsbewusste Alissa zurückzuführen, die sich Sorgen um das Hamburger Publikum macht.

Jinjer (Foto: Olaf Räwel bs! 2018)

Pünktlich um 18:10 Uhr betreten Jinjer die Bühne und die Sängerin Tatjana growlt gleich von Anfang an die Menge nieder. Da war er wieder der Sturm. Bei den melodisch gesungenen Refrains ist auch ein leichter Jazzeinfluss zu vernehmen und bei ihrem roten Kopftuch fühlt man sich unweigerlich an Amy Winehouse erinnert. Dennoch ist es purer Metal und die Haare vom Publikum werden kräftig geschüttelt. Aber auch Eugene Abdiukhanov am Bass und Gitarrist Roman Ibramkhalilov machen eine gute Figur. Wie man den Namen entnehmen kann, ist diese Combo aus der Ukraine. Aus dieser Region hört man sonst selten bis gar nichts in diesem Genre. Musikalisch geht dieser Auftakt leider viel zu schnell zu Ende. Aber die Augen brauchen jetzt ihre Zeit, sich von dem Stroboskop-Gewitter zu erholen.

Jinjer (Foto: Olaf Räwel bs! 2018)
Tribulation (Foto: Olaf Räwel bs! 2018)

Inzwischen füllt sich die Halle zunehmend. Fahren die S-Bahnen wieder? Und Schwuppdiwupp stehen schon Tribulation auf den Brettern. Die schwedischen Death Metal-Jungs sind wirklich eine Marke für sich. Wir befinden uns nun im Horrorbereich mit viel Nebel, geschminkten Grimassen, dementsprechendem Outfit und schlangenartigen Bewegungen. Musikalisch auch ganz anders als die Band davor. So heißt es flexibel sein und versuchen sich drauf ein zu lassen. Denn nun wird entschleunigt und mit langsamen, düsteren, atmosphärischen Klängen in die Halle geatmet. Zudem nehmen die Bewegungsabläufe der Bandmitglieder immer mehr tranceartige Züge an.

Ähnlich wie in den 70ern. Hier geht es mehr um Performance, als ein Konzert zu spielen.  Dass einige, die hier sind um volle Kanne auf die Ohren zu bekommen, hiernach erstmal frische Luft brauchen ist durchaus verständlich. Und auf diese Erfahrung trifft wohl voll benebelt ganz gut zu.

Wintersun (Foto: Olaf Räwel bs! 2018)

Schnell lehrt sich die Bühne von weiterem Equipment. Denn es wird nicht umgebaut, sondern nur abgebaut. So hat jede weitere Band mehr Spielraum und Wirkungskreis. Dieses gilt jetzt auch für Wintersun. Die Musik dieser Mannen ist schwer einzuordnen. Eine Mischung aus Power-, Black-, Death- und vielleicht auch Viking Metal teils mit Folk-einflüssen teils aber auch ein wenig Pop. Aber es funktioniert. Inzwischen brodelt die Menge wieder, die ersten Moshpits bilden sich und es wird gefeiert. Wer diese Band mag, kann sich wohl auf die Pressung dieses Konzert´s auf DVD oder so freuen, da von Anfang an eine Kamera auf der Bühne steht und ein junger Mann zwischen der Band rumwuselt und filmt.

Wintersun (Foto: Olaf Räwel bs! 2018)

Somit ist es klar, dass Jari Mäenpää heute mal die Gitarre bei Seite lässt und ab geht wie Schmitz Katze, viele Posings inclusive. Und obwohl sie deutlich länger spielen als die Bands vorher, ist es gefühlt auch sehr schnell zu ende.

Nun steigt auch die Spannung, Hitze steigt auf und gefühlt tropft jetzt schon der Schweiß von der Decke. Jetzt ist auch die Hütte richtig voll und kein vor- und zurückkommen. Da stellt sich wieder die Frage mit den S-Bahnen.

Was die Schweden von Wintersun angefangen haben, steigert sich jetzt noch um mehrere Oktaven. Doch zunächst wird als Intro „Ace Of Spaces“ eingespielt. Als Hommage an das kürzlich verstorbene letzte Originalmitglied der Band Motörhead Eddy „The Fast“ Clarke.

Arch Enemy (Foto: Olaf Räwel bs! 2018)

Und nun gibt es erstmal, ohne Vorwarnung, voll auf die Fresse. Mit „The World Is Yours“ drückt der Orkan in die Menge, die sich fühlt wie in einem Windkanal bei höchster Stufe. Arch Enemy sind nicht umsonst eine der mit am erfolgreichsten Metal Bands seit Alissa als Forntfrau agiert und nicht nur die Menge, sondern auch die Band nach vorne treibt.

Nebenbei weiß sie aber auch genau, wie man sich präsentiert und agiert. So verzeiht ihr auch der letzte Raucher das Verbot im Laden. Nur Teile der Security sind sichtlich genervt, durch das ewige raus- und reinlaufen der suchtgeprägten Fans.

Arch Enemy (Foto: Olaf Räwel bs! 2018)
Arch Enemy (Foto: Olaf Räwel bs! 2018)

Es folgt über „Ravenous“ bis hin zu „The Race“ ein Spannungsbogen der in „War Eternal“ seine Spitze findet. Genialer Schachzug mit der Erwartungshaltung zu spielen und an diesem durchaus langen Abend das Publikum bei Laune und wach zu halten. So folgt gleich ein weiterer Aufbau. Mit „My Apocalypse“ kommt der nächste Startschuss bis hin zu „You Will Know My Name“. Arch Enemy hat die Menge voll im Griff. Obwohl man Alissa schon die Folgen der Tour und die täglichen Auftritte schon anmerkt. In den Instrumentalparts kennt man ihre Abwesenheit von der Bühne ja schon, diesmal werden die Abstände immer kürzer und die Zeiten länger. Dennoch geht es jetzt Schlag auf Schlag „Bloodstained Cross“, „The Eagle Flies Alone“, „As The Pages Burn“ um nur einige zu nennen. Auch die so genannten Zugaben wurden eingebunden und druchgeballert. Nach den letzten Songs „Snow Bound“, „Nemesis“ folgt „Fields Of Desolation“ als Outro und schon ist das Licht an.

Arch Enemy (Foto: Olaf Räwel bs! 2018)

Bei diesem Headliner ist es nicht verwunderlich, dass auch jetzt erst sich die Schlangen vor den Garderoben bilden um die dicken Jacken für das Hamburger Schmuddelwetter abzuholen. Kennt man es nicht von anderen Konzerten, bei denen vor den Zugaben die Halle leert, weil jeder schnell seine Jacke will? Hier ist es nicht so. Hiermit haben wir wieder Mehrarbeit für die Security, der man für diesen Abend ein großes Lob aussprechen muss. Nun aber erstmal einen rauchen, und dann stellt sich noch die Frage: „Fährt die S-Bahn?“

Galerien (by Olaf Räwel bs! 2018):

Arch Enemy (Foto: Olaf Räwel bs! 2018)

Setlist Arch Enemy:

  1. Intro Ace Of Spaces
  2. Set Flame To The Night
  3. The World Is Yours
  4. Ravenous
  5. Stolen Life
  6. The Race
  7. War Enternal
  8. My Apocalypse
  9. Blood In The Water
  10. No More Regrets
  11. You Will Know My Name
  12. Bloodstained Cross
  13. The Eagle Flies Alone
  14. As The Pages Burn
  15. Intermezzo Liberte
  16. Dead Bury Thier Dead
  17. We Will Rise
  18. Avalanche
  19. Snow Bound
  20. Nemesis
  21. Fields Of Desolation

Links:
http://jinjer-metal.com/
http://www.tribulation.se/
https://www.facebook.com/wintersun/
http://www.archenemy.net/en/

Olaf Räwel
Olaf Räwelhttps://www.be-subjective.de/
Olaf ist ein mediterran Scharfmacher sondergleichen. Seine Texte sind gewürzt mit den Tränen derer, die auf seiner heimischen, eigenhändig veredelten Chili-Plantage, den Mund zu voll genommen haben. Wenn er sich nicht gerade Live- oder Gaumenerlebnisse scharfzüngig zergehen lässt, jongliert Olaf mit sündhaft teuren Designmöbeln, erfindet die daoistische Harmonielehre neu und verbindet seine ästhetischen Leidenschaften mit Spaß. Olaf, so vermuten wir, ist eigentlich ein Akronym für Ordinary Lover of Art and Flavouring. Genug Rumgeräwelt. Das Spicegirl is(s)t scharf.

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