Tool: Fear Inoculum (2019) Book Cover Tool: Fear Inoculum (2019)
Progressive Metal
RCA Records/Sony Music
30.08.2019
www.toolband.com

Tracklist:

  1. Fear Inoculum
  2. Pneuma
  3. Litanie Contre La Peur (Digitaler Bonustrack)
  4. Invincible
  5. Legion Inoculant (Digitaler Bonustrack)
  6. Descending
  7. Culling Voices
  8. Chocolate Chip Trip
  9. 7empest
  10. Mockingbeat (Digitaler Bonustrack)

 

In der heutigen Zeit, in der sich die Welt und alles um einen herum schneller bzw. hektischer bewegen zu scheint, mag es schier surreal zu sein, dass nach 13 Jahren, das neue Tool-Album „Fear Inoculum“ (so die Ankündigung für dieses Jahr), wirklich veröffentlicht wird. Aber so richtig konnte man diese Ankündigung erst glauben, wenn man das fertige Produkt in seinen eigenen Händen hält, denn nachdem es immer wieder verschoben wurde, stellte man sich die Frage, ob es jemals das Licht der Welt erblicken würde. Aber ja, kein Surrealismus: Es ist existent! Dazu noch mit einem echten Ausrufezeichen!

Was uns Tool bzw. Gitarrist Adam Jones, der die Hauptverantwortung daran hatte, mit dem „Limited Edition Special Package“ (der bisher einzigen physikalischen erhältlichen Version!) präsentiert, zeigt wie verdammt nahe Genialität und Wahnsinn beieinander liegt. In Zeiten, in denen die CD-Verkäufe nicht mehr die Haupteinnahmequelle der jeweiligen Künstler ist, sich die Hörgewohnheiten stark geändert haben und vieles nur noch über Streaming-Dienste abgewickelt wird, steckt man sehr viel Arbeit in ein kleines visuelles Meisterwerk. Dieses Package enthält einen in die Verpackung eingearbeiteten 4 Zoll großen HD-Bildschirm (das einen über 6-Minütigen Clip mit dem Namen „Recusant Ad Infinitum“ abspielt, beim Öffnen der rechten Klappseite), einen 2-Watt-Lautsprecher und ein beiliegendes USB-Ladekabel. Des Weiteren ein 36-Seitges Booklet, exklusive Artworks und es liegt noch ein MP3-Downloadcode bei, mit dem noch die drei zusätzlichen Bonustracks gratis herunterladen kann, sodass das Album auf eine Gesamtspiellänge von 86:43 Minuten kommt.

Genau in diesem Moment kommen die Fragen: „Muss das wirklich sein?“, „Braucht man das?“, „Sind die denn verrückt?“ oder „Was soll denn der Quatsch?“. Berechtigte Fragen, denn je nach Anbieter, muss man für dieses Werk Minimum 70 € bis „Open-End“ hinblättern, um es sein Eigen nennen zu dürfen. Selbstverständlich ist es jedem selbst überlassen, ob es einem das Wert ist, aber eines ist Fakt: Einem echten "Tool-Die-Hard-Fan" ist das (da bin ich mir zu 99% sicher) absolut scheißegal. Diese Fans werden sich „Fear Inoculum“ bestimmt dreimal zulegen, denn es gibt verschiedene Varianten davon, die man an der Symbolik auf der Rückseite erkennt.  Es ist auf alle Fälle ein schönes Sammlerobjekt und wenn es einem tröstet: Die gesamte Diskografie von Tool gibt es seit kurzem auf den bekannten Streaming-Diensten zum Hören. Auch „Fear Inoculum“ mit seinen Digitalen Bonustracks. Warum man diese Verkaufstaktik gewählt hat, bleibt mir ehrlich gesagt ein Rätsel, denn eigentlich hätte man so den „echten“ Tool-Fans eine Exklusivität bereitstellen können. Gesprächsstoff für eine Diskussion ist es bereits, die aber wieder, aufgrund der Sozialen Medien, in eine Schlammschlaft ausartet, in der sinnlos beleidigt wird, anstatt sinnvolle Argumente und konstruktive Kritik vorzutragen. Wenn ich so einen Bullshit lese, frage ich mich danach ernsthaft: „Seid ihr überhaupt „würdig“ die Musik von Tool zu verstehen und in deren Welt einzutauchen?“

Damit kommen wir zu dem eigentlichen Hauptgrund dieses Review: der Musik. Es ist wirklich nicht einfach, die Musik von Tool in Worte zu packen. Damals schon nicht und heute ist es auch nicht leichter geworden. Wenn ich jemanden erkläre für was Tool stehen, sage ich immer, dass sie die Musik komplett in den Vordergrund stellen und die Band selbst keine Rolle spielt. Sie machen aus wenig so verdammt viel. Gesang, Bass, Gitarre, Schlagzeug und hier und da ein paar elektronische Spielereien, mehr braucht es nicht und sie erschaffen mit auf den ersten Blick wirkenden „simplen“ Riffs und Songstrukturen Klang-Kosmen, die in ihrer Gesamtheit komplexer wirken als das gesamte Universum an sich. Sternenexplosionen, Asteroidenschauer, Sternschnuppen und andere Weltallphänomene sind alles Teile eines unfassbaren Konstrukts und dennoch finden wir einen Zugang dazu und verbinden damit Metaphern, Emotionen, Träume oder Erinnerungen. Tool ist nicht nur irgendeine Band, für mich sind sie schon immer Exoten (von einem anderen Planeten?) gewesen, die Progressive Metal mit modernen Elementen und Alternative-Zugänglichkeit kombiniert hat. Mit „Fear Inoculum“ ist ihnen das nach so langer Abstinenz erneut gelungen, obwohl es in seiner Gesamtheit (sowohl in seiner „CD-Version“, als auch in der „Digitalen-Version“) sich von den bisherigen Werken unterscheidet. Es liegt nicht mal daran, dass die sechs „Hauptsongs“ alle eine Spieldauer von zehn bis 15 Minuten haben, sondern dass die Tracks in sich ausgeglichen, konzentriert, quasi spirituell in sich ruhen und nach jedem Durchlauf eine Energie freisetzen, die in jeden noch so kleinen Nervenstrang übergeht. Allein beim eröffnenden Titeltrack fühle ich mich hypnotisiert durch ihren „Minimalismus“ und genieße das restliche Album am besten in Isolation bei geschlossenen Augen und fokussierten hinhören. Diesen „Drang“ verspüre ich auch bei der „Digitalen-Version“, denn die Bonustracks sind „nur“ Interludes, die knackige Kontrastpunkte in den Fluss des Albums setzen. Höre ich „Fear Inoculum“ in der „CD-Version“ wirkt es zwar massiver, aber nicht erdrückend, sondern in seinen Stärken gebündelter. Trotz einer Dauer von 79 bzw. 86 Minuten, bin ich immer wieder überrascht wie „schnell“ es wieder vorbei ist. Spannung ist gegeben, Feinheiten gibt es zu entdecken und mit einem Staunen wird man verabschiedet. Und das in den heutigen hektischen Zeiten einer schnelllebigen Welt….

Wer mir mit diesen Worten nicht folgen konnte, dem sei gesagt, dass man hier keine „Hits“ wie „Schism“, „Stinkfist“ oder härtere Ausbrüche wie „Parabol“ finden wird. Dafür Perlen zum immer wieder Neuentdecken wie „Descending“, „Invincible“, „Pneuma“ (wie herrlich), dem bereits genannten Titeltrack oder dem Ausreißer „7empest“. Selbst „Chocolate Chip Trip“, der ein reinster Free-Drum-Jam-Meets-Acid-Electronic“- ähm, ja, Trip ist (bei dem ich vergebens nach Trent Reznor Credits im Booklet suche. Das Stück lässt an Nine Inch Nails denken…), passt hier in das Bild hinein und weckt die letzten Unaufmerksamkeiten vor dem Grande Finale. Wer danach immer noch der Meinung ist, dass die Band überbewertet, langweilig, inhaltslos, spannungsarm und/oder nichtssagend sei, dem sei gesagt, dass sie alle recht haben. Aber nur, weil sie die Band und ihre Musik bisher nicht verstanden haben und sie (vielleicht) auch nie verstehen werden. Für diesen Umstand könnte man ihnen Beileid bekunden…

„Fear Inoculum“ ist aus meiner Sicht ein klasse Album geworden. Die lange Wartezeit kam nicht mit einer Enttäuschung gleich, obwohl ich von Tool-Kennern verstehen kann, dass sie den ein oder anderen Song höher einstufen und besser bewerten als ich es würde. Gene Simmons von Kiss sagte einst: „Meinungen sind wie Arschlöcher – Jeder hat eines…“. Damit will ich sagen, dass jeder Tool auf seine eigene Art und Weise lebt und fühlt. Dass das unterschiedlich ausfallen kann, steht außer Frage, denn obwohl ich die volle Sternenanzahl vergebe, muss ich sagen, dass „Fear Inoculum“ die magischen Momente rarer gesät hat, als auf den Werken zuvor und der Track „Culling Voices“ sich „unauffälliger“ verhält als der Rest. Ich kann daher verstehen, dass der ein oder andere den „Album des Jahres“-Preis bereits an Tool vergeben will, aber ich warte noch ab. Doch es ist auf alle Fälle ein Jahreshighlight! Und welchen Platz und welchen Stellenwert dieses Album in der Zukunft einnehmen wird, wird der „Test Of Time“ zeigen und bis dahin wird es hoffentlich nicht wieder 13 Jahre dauern bis zum nächsten Kapitel.

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Michael Gerlinger
Bei Mike handelt es sich im Einzelnen um allerhand mittelfränkische Verhandlungsmasse, ein wahrer Gentleman, ein wahrer Poet Den Löwenanteil seiner irdischen Sternzeit fristet Metalmike, wie wir ihn nennen, auf 49°17`60" N, 10°33`34" O in der Multi Media Abteilung eines Glücksgefühl-Sortimentas. In den 90ern war Gentlemicha der erste, der sich “Musik ist (mein) Leben!” auf die Pommesgabel hat tätowieren lassen, deswegen reichte das Taschengeld auch nicht für ‘ne Baumpatenschaft. Weil Metalmike jeden Tag einen Clown frühstückt, sperren wir ihn in der Regel statt Jack in die Box und füttern ihn für den Rest des Tages hauptsächlich mit Rock- und Metalscheiben, von Weichspülern bis hin zum richtig steilen Zeug à la Mgla, Lifelover und Co.