Review: Lacrimosa im Delphi Showpalast – Bestandsaufnahme einer tränenreichen Hoffnung (17.02.2016, Hamburg)

Der lachende Prophet

Es begab sich aber zu der Zeit, da sprach das Tränenreich von Tilo Wolff und Anne Nurmi einem, der für die Musik entflammt war, so sehr aus dem Herzen, dass er – vom brennenden Kometen getroffen – sein eigenes Projekt der lachende Prophet genannt. Die Funken schlugen schnell und heftig in die Höhe und es erwuchs aus dem reinen Lacrimosa Fanzine ein stattliches Portal mit Forum und Fans, das in der Gothik-Szene als goth-zine.de bekannt, nie ganz verbrannt, nie ganz verglüht war. Aus seiner schwarzbunten Asche empor, stieg das heutige be subjective!

Dass Lacrimosa dem lachenden Propheten zum 15ten Geburtstag ungewusst die größte Ehre erweisen und mit ihrer UnterWelt Tour im Delphi Showpalast Hamburg Station machen würden, ist ein nahezu unwirklicher Zufall, „Hoffnung“ überfrachtet mit Hoffnungen.

„Mit blutverschmierten Händen
Mit einer Träne im Gesicht
Einem Lächeln auf dem Lippen
Und der Hoffnung tief im Blick“

So lud der etwas in die Jahre gekommene Delphi Showpalast – eine Location, die durch die wohl entspannteste Crew der Welt besticht – zu einem intim-konzertanten Abend.

Canterra (Foto: © Torsten Volkmer bs!)
Canterra (Foto: © Torsten Volkmer bs!)

Support. CanTerra – Rot auf schwarz – first Support, first time in Hamburg mit ihrem Album First Escape (erscheint am 19.02.16). Rock Metal aus Leipzig, der viel will, doch nicht so genau zu wissen scheint wohin. „Epica in schlecht“ hört man’s munkeln und will über Geschmack dann doch nicht streiten. Zugegeben: Leicht haben’s CanTarra nicht. Das Publikum wartet auf Lacrimosa und der lachende Prophet hat bei diesem Support erste Fluchtreflexe, was – zugegeben – durchaus auch als „powerful emotion“ durchgehen kann.

Pause.

Der Harlekin zuckt über den schwarzen Bühnenvorhang. Projektionen ins Dunkel geworfen. Der Vorhang fällt, die Bühne erhellt, Monitore und Equipment, alles ist in weiß gewunden und wird an diesem Abend zur lebenden Leinwand für die auf die Songs abgestimmten, fließenden Farben und Projektionen. Die Bühne wird zum Kaleidoskop.

Lacrimosa (Foto: © Torsten Volkmer bs!)
Lacrimosa (Foto: © Torsten Volkmer bs!)

„Draußen dreht sich alles nur im Kreis
Unsere Endlichkeit läuft aus
Schau mich nur an!
Magst du hier mit mir einfach bleiben?“

Tilo Wolff wirkt leichtfüßig. Eleganz gewordene Haltung, scheint er der Dirigent der Lichtshow, die er zuvor groß angekündigt hat, zu sein. Oft hat er dem Publikum den Rücken zugewandt, ein bisschen Ian Curtis atmend, einen Schluck Wasser nehmend, Es wirkt. Wolff, die androgyne Wave-Ballerina, und Anne Nurmi, die weich im Licht Wogende, bedienen die beiden Seiten Lacrimosas durchchoreographiert und dennoch nicht uninspiriert. Ganz im Jetzt. Ganz Lacrimosa. Ganz und gar. Lacrimosa haben die mozärtlichen, theatral-klassischen Elemente, für die man sie bereits vor 20 Jahren still angeschmachtet hat, technisch professionalisiert. Vielleicht sind sie damit stellenweise etwas over the top, denn das was diese Band ausmacht – die blutige Poesie, das zärtliche Grauen, die kalte Wahrheit, das süße Tränenreich, das sich in ihren Lyrics eröffnet – bleibt im bescheidenen Sound und einem die Lider durchbohrenden bombastischen Licht teilweise auf der Strecke.

Lacrimosa (Foto: © Torsten Volkmer bs!)
Lacrimosa (Foto: © Torsten Volkmer bs!)

„Alles was wir sehen
Ist nicht alles was es gibt
200.000 und zwei Küsse entfernt
Und doch unvergleichbar schön
Für mich bist du die Farbe
Die kein Mensch jemals gesehen“

Lacrimosa (Foto: © Torsten Volkmer bs!)
Lacrimosa (Foto: © Torsten Volkmer bs!)

Das Publikum vergibt’s. Der Delphi Showpalast hat sich angenehm gefüllt. Strenges Blau wechselt mit dramatischem Theaterrot. Nurmi steht für ihre Gesangsparts in einem Lichtkegel, das Licht ruhiger, die Farben sanfter, das Thema wird durchgehalten. „Alles was wir sehen ist nicht alles, was es gibt.“ Das Publikum sieht mit milden Herzen. Genießt zwei Zugabenblöcke und einige bleiben für den After-Show-Support Black Moon Secret. Der lachende Prophet tritt aus dem Tränenreich in tanzende Flocken hinaus, kühlt sich das Gemüt, weiß nicht recht und summt sich in die Nacht.

„Ich bin der lachende Prophet
Der eine Maske trägt u
nd dahinter seine Tränen zählt
Wenn müde Zungen sich verknoten
Und die Dummheit wieder zirkuliert
Siegt in jedem schwachen Herz die Intoleranz“

Fotos:

Setlist:

00. Lacrimosa Theme

  1. Der Kelch der Hoffnung
  2. Kaleidoskop
  3. Schakal
  4. Stolzes Herz
  5. Apart
  6. Crucifixio
  7. Allein zu zweit
  8. Die unbekannte Farbe
  9. If the World
  10. Feuer
  11. Unterwelt
  12. Thunder & Lightning
  13. Irgendein Arsch

Encore

  1. Tränen der Liebe
  2. Alles Lüge
  3. Lichtgestalt

Encore II:

  1. Keine Schatten mehr
  2. Der Morgen danach

Links:
www.lacrimosa.ch
www.canterra.de
www.delphi-showpalast.de

Isabelle Hannemann
Isabelle Hannemannhttp://www.isabellehannemann.net
Die missratene Hypotaktikerin wird als Redakteurin Schrägstrich Fotografin bei be subjective! geduldet, hat versucht sich als freie Autorin und Herausgeberin verschiedener Artikel und Bände im Bereich der kritischen Sozialwissenschaft für Suchmaschinen selbst zu optimieren und will – wenn sie groß ist – mal sehen. Künstlerisch als Autorin und Fotografin mit diversen Bands und AutorInnen zusammenarbeitend, Texte zu Papier, Gehör und auf die Bühne bringend. Na dann Prost Mahlzeit!

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