Review: Wo die wilden Wattwürmer wohnen – Das Watt En Schlick Fest (03.-05.08.2018, Dangast)

Erst zum fünften Mal findet das Watt en Schlick Fest am schönen Nordseestrand von

Atmo beim Watt en Schlick Fest
(Foto: Thea Drexhage bs! 2018)

Dangast statt. Umso überraschender ist es, wie professionell bereits am ersten Festivaltag alles abläuft. Von der Anreise, über den Einlass bis hin zur Versorgung von etwa 6000 Festivalbesuchern ist für alles gesorgt.
Das Watt en Schlick hat sich in den letzten Jahren zu einem ganz besonderen Festival in unserer Region entwickelt. Warum so besonders? Die Bühnen stehen auf dem Strand in Blickrichtung Wasser oder gar im Wasser. Die Festivalbesucher ziehen keine Bollerwagen mit lauwarmen Dosenbier und Ravioli, sondern schieben in Scharen Kinderwagen durch den tiefen Sand, breiten große Decken oder Handtücher, nutzen die Temperaturen über 30 Grad für ein ausgiebiges (Schlick-)Bad und lassen sich dabei von vier unterschiedlichen Bühnen beschallen.

Eröffnet wird der Freitag nach einer herzlichen Begrüßung durch den Veranstalter Till Krägeloh von der jungen Britin Jade Bird, so jung in Fakt, dass sie erst eine EP veröffentlicht hat. Sichtlich angetan von der ungewöhnlichen Kulisse spielt die Singer-Songwriterin ihre zuckersüßen Popsongs gespickt mit dem ein oder anderen Cover, darunter der Pixies Klassiker „Where is my mind“ oder Kate Bush’s „Running up that hill“, souverän, als würde sie seit Jahren nichts anderes machen.

Jade Bird (Foto: Thea Drexhage bs! 2018)

Etwas mehr Schwung in die Menge bringen im Anschluss RDGLDGRN…RDGLGHXY was? Wenn wir ein paar Vokale kaufen ergeben sich aus dem kryptischen Buchstabensalat die einfache Farbkombination RED GOLD GREEN, was Sinn ergibt, sobald man die gutgelaunten Musiker in ihren farbenfrohen Outfits betrachtet. Die Band aus Washington D.C. stellt sofort klar, dass sie mit dem aktuellen Präsidenten im weißen Haus nix zu tun haben wollen. Nachdem die politischen Standpunkte geklärt sind, geht die Party los. RDGLDGRN locken die Wattwürmer in Windeseile von ihren Decken vor die Bühne und bringen die trägen Körper durch ihren außergewöhnlichen Mix aus Hip Hop und Rock zum wackeln.

Das Publikum hat keine Chance den Mitmachaufforderungen von Frontman Green zu entkommen. So spaltet dieser die Menge in

East Coast und West Coast,

um anschließend wie Moses durch ihre Mitte zu wandeln. Sympathischer Typ, sympathische Band, die sicherlich auch an einem späteren Slot am Abend perfekt gezündet hätte.

RDGLDGRN (Foto: Thea Drexhage bs! 2018)
Paloma and the Matches (Foto: Thea Drexhage bs! 2018)

Etwas gemütlicher geht es den Strand runter auf der Floßbühne bei Paloma and the Matches zu. Die junge Band aus Bremen spielt bei Flut auf der schwimmenden Bühne, während so viele Menschen wie möglich versuchen, sich auf den engen Strandabschnitt davor zu quetschen. Wer nicht so auf quetschen steht, lässt sich einfach vor der Bühne im Wasser treiben. Bilder, die es sicherlich nur beim Watt en Schlick zu sehen gibt.

 

Auf der großen Bühne platziert sich derweil Dan Croll allein mit seiner Gitarre. Bekannt dürfte der Brite vor allem durch seinen Hit „From Nowhere“ sein, der in diversen Werbespots durch unsere Fernsehlandschaft getingelt ist. So richtig zünden will der Rest seines Programms, trotz der hohen Qualität seiner Songs, jedoch nicht. Die Leute stehen in Trauben quatschend vor der Bühne oder aalen sich wieder im Sand.

Dan Croll (Foto: Thea Drexhage bs! 2018)

Langsam aber sicher wird es auch Mal Zeit für etwas Schatten. Im Zelt ist spontan RapperFatoni für seinen kranken Kollegen Ahzumjot eingesprungen. Von Traurigkeit über diesen Ausfall gibt es keine Spur. Tiefe Bässe dröhnen von der Bühne, als Fatoni bewaffnet mit der gewaltigsten Konfettikanone der Festivalgeschichte auf die Bühne stürzt und damit, als auch mit seiner Musik, das überwiegend junge Festivalpublikum befeuert.

Fatoni (Foto: Thea Drexhage bs! 2018)

Es ist ganz einfach:
Das Leben lebt, es ist ein wunderschöner Sommertag

Gisbert zu Knyphausen (Foto: Thea Drexhage bs! 2018)

Wer es etwas gediegener mag, ist im Anschluss bei Gisbert zu Knyphausen auf der Hauptbühne in guten Händen. Dieser tritt am Abend mit großer Band auf, wodurch seine traurigen Lieder an diesem Abend in dieser Kulisse nur noch halb so traurig wirken. Gisbert zu Knyphausen gelingt es an dieser Stelle mit Songs wie „Sommertag“ das Publikum an sich zu binden, und das ganz ohne Animation und Konfettikanonen, während im Hintergrund langsam die Sonne untergeht. Super kitschig. Super schön.

Noch immer ganz verzaubert von Gisbert gilt es im Anschluss, sich zu entscheiden: Das Paradies auf der Floßbühne oder Martin Kohlstedt im Zelt?

Die Entscheidung fällt bei vielen Besuchern auf Martin Kohlstedt, die von überall her

Martin Kohlstedt (Foto: Thea Drexhage bs! 2018)

Bänke in und um das Zelt tragen und platzieren, um die fast schon magische Darbietung des außergewöhnlichen Pianisten genießen zu können. Kohlstedt versinkt zwischen seinen Instrumenten und unterscheidet nicht zwischen Elbphilharmonie und Zirkuszelt. Er schafft einlullende Klangwelten am Klavier, hier und da untermalt mit elektronischen Elementen und ist so versunken in seine Musik, dass er sich erst nach drei Songs das erste Mal Richtung Publikum dreht. Viel zu sagen hat der leicht nervöse Extentriker jedoch nicht und spielt einfach weiter.  Zwischen den Menschen herrscht Schweigen und Faszination für das, was um sie herum ertönt.

Weniger verträumt und entspannt beendet die hamburger Rapperin Hayiti an diesem Abend das Programm auf der Hauptbühne. Zwischen grellen Lichtshows hüpft sie hin und her und spaltet die Gemüter mit ihrer schrillen Stimme und ihrer schrillen Musik. Der jüngere Teil des Publikums lässt sich noch überzeugen, während sich der andere teil zurück ins Zelt wünscht. Vielleicht wäre an dieser Stelle ein Bühnentausch sinnvoll gewesen.

Hayiti (Foto: Thea Drexhage bs! 2018)

Samstag

Atmo beim Watt en Schlick Fest (Foto: Thea Drexhage bs! 2018)

Die Sonne scheint auch am Samstag erbarmungslos auf die Camps der Festivalbesucher. Sich nach dem Aufstehen in der Nordsee abzukühlen, das wär’s. Die nicht Einheimischen werden jedoch schnell enttäuscht… immer diese Gezeiten, Matsch wohin das Auge blickt. Die einheimischen hingegen waten, elegant wie Störche mit Beinbruch, durch die graue, zähe Masse und empfinden dies als Erholung. Zugegeben, eine dicke Schickt von diesem Zeug schützt bestimmt ganz hervorragend vor Sonnenbrand.

Bad Sounds (Foto: Thea Drexhage bs! 2018)

Das musikalische Programm wird an diesem Tag von den Bad Sounds eröffnet, die gar nicht so schlimm klingen, wie es ihr Name prophezeit. Jung, frisch, fröhlich und tanzbar kommen die Briten daher, um die müden Menschen langsam von überall her in Richtung Bühne zu locken.

 

 

Travemünde, ich mochte dich nie!

Rausz (Foto: Thea Drexhage bs! 2018)

Wer so früh keine Lust auf gute Laune hat wartet nebenan im Schatten der Palettenbühne auf die Bremer Truppe Rausz. Der Sound ist roh, laut und rockiger als alles, was bisher auf dem Watt en Schlick dargeboten wurde. Die Texte sind wütend und gerade heraus… und wütend. Nach und nach finden sich immer mehr BesucherInnen vor der Palettenbühne ein, um herauszufinden, wer dort so einen Krach veranstaltet. Viele Begeisterte bleiben, während sich einige entsetzt wieder vom Geschehen abwenden. Es ist eben nicht immer alles Sommer, Sonne, Sonnenschein – glücklicherweise findet sich immer irgendwo ein anderes spannendes Programm. In unseren Augen sind Rausz an diesem Tag eine von vielen Bands, die zeigen, wie spannend die Acts abseits der großen Bühne sein können.

 

Jesper Munk (Foto: Thea Drexhage bs! 2018)

Auf dieser spielt im Anschluss Jesper Munk, welcher seine musikalischen Wurzeln als Straßenmusiker schlug. Trotz seiner wahnsinnig einnehmenden Stimme ist die Musik, wie bei den meisten Künstlern am Samstag und Sonntag auf der Hauptbühne, gefällig, entspannt und sommerlich, was keinesfalls schlecht bedeutet, jedoch hier und da ein paar Ecken und Kanten im musikalischen Hauptprogramm vermissen lässt. Das es solche Bands auf dem Festival gibt und das die Künstlerauswahl auch in diesem Jahr im Großen und Ganzen wieder ganz fantastisch ist, steht außer Frage. Jedoch hätten bereits ein paar kleine Änderungen an der Bühnenbelegung hier und da für einen etwas spannenderen Ablauf sorgen können.

 

There’s some heavy hippie shit going on here… We like it a lot!

Theo Lawrence and the Hearts (Foto bs! 2018)

So spielen im Anschluss zum Beispiel Theo Lawrence and the Hearts auf der Palette wunderbar kitschig-souligen Rock’n‘ Roll der 50er und 60er Jahre und bringen die schlickbedeckten Tanzbeine zum Schwingen. Sichtlich angetan von der besonderen Atmosphäre dieses Festivals steht den jungen Franzosen die Spielfreude deutlich ins Gesicht geschrieben.

Marlon Williams (Foto: Thea Drexhage bs! 2018)

Mit Marlon Williams geht es auf der Hauptbühne wieder gefällig zu. Dort steht nun ein dunkelhaariger Neuseeländer, mit der vermutlich schönsten Stimme des gesamten Festivals, der jedoch wieder aalglatte (aber trotzdem hochqualitative) Popmusik spielt, die niemanden auf dem Festivalgelände stört, aber auch nur wenige vom Handtuch haut.

Dieses Muster wird erst von Käptn Peng und die Tentakel von Delphi gebrochen. Vor der Hauptbühne herrscht endlich wildes Treiben. Der sympathische Rapper kann mit seinem intelligenten Hip Hop bereits seit vielen Jahren auf Deutschlands Festivalbühnen überzeugen, sodass auch eine kleine Gitarrenpanne kein Grund zur Panik darstellt, sondern den ein oder anderen Freestyle aus dem Käptn herauskitzelt. Das Publikum wird kurzerhand Gertrude getauft, um eine persönliche Bindung aufzubauen, ein Trick der definitiv funktioniert und auch dem ein oder anderen Musiker an diesem Wochenende hätte helfen können.

Käptn Peng und die Tentakel von Delphi (Foto: Thea Drexhage bs! 2018)

An Bindung zum Publikum fehlt es dem folgenden Künstler im Zelt auf keinen Fall. Der unglaublich charmante Berlin-Kanadier Sam Vance-Law, der erst kürzlich sein Debütalbum „Homotopia“ veröffentlichte, unterhält das Publikum nicht nur mit seiner außergewöhnlich ausgeklügelten, quietschig bunten, klassischen Popmusik, sondern auch mit seinen witzigen Ansagen in perfektem Denglisch. Mit „Homotopia“ schuf Sam Vance-Law eine Ode an die Homosexualität. Sowohl in seinen Texten als auch in seinen Ansagen weist er charmant darauf hin, dass Homosexuelle lägst nicht so in unserer Mitte geduldet werden, wie wir es uns gern einreden. So kommentiert er die erst im letzten Jahr beschlossene Ehe für alle in Deutschland mit einem knappen:

YAY TO BASIC HUMAN RIGHTS!

Sam Vance-Law (Foto: Thea Drexhage bs! 2018)

Auch die inhaltliche Belanglosigkeit der aktuellen Popmusik möchte er mit tiefsinnigen Stücken über den möglichen Sexualverkehr mit sich selbstentgegen kommen. Die BesucherInnen können sich ihr aufrichtiges Lachen nicht verkneifen, während sich Sam Vance-Law in ihre Herzen plappert. Dieser wundervolle Auftritt kann somit sicherlich als Festivalhighlight für den ein oder anderen Gast verbucht werden.

Parcels (Foto: Thea Drexhage bs! 2018)

Ebenfalls gut gelaunt geht es draußen mit den Herren von Parcels weiter. Die Jungs sehen aus, als wären sie irgendwann in den 70ern eingefroren worden und nun bei den warmen Temperaturen in Dangast wieder aufgetaut – du so klingen sie auch. Super -funkiger Disco-Funk wie von etwas fröhlicheren Daft Punk hallt über den Jadebusen bis nach Wilhelmshaven und lässt die Leute in den Sonnenuntergang tanzen.

Happy Birthday!

Drangsal (Foto: Thea Drexhage bs! 2018)

Im Zelt geht es nicht ganz so fröhlich, aber dafür nicht minder bunt zur Sache. Drangsal Sänger Max Gruber hat Geburtstag und hat die Bühne mit Luftballons, Luftschlangen und anderem Gedöns ausgestattet, wie es ein siebenjähriger nicht besser hätte machen können. Die Musik hingegen klingt durch und durch erwachsen. Nach dem 70er Sound von Parcels befindet sich das Publikum nun in den wavigen 80ern. Etwas verbissen, aber musikalisch absolut perfekt spielen sich Drangsal durch ihre sowohl deutsch- als auch englischsprachigen Songs und legen einen gelungenen Auftritt auf die Bretter, der auch zahlreiche Menschentrauben zum lauschen vor das gut gefüllte Zelt lockt. Spätestens mit dem Cover von „1000 Mal berührt“ kann er auch die letzten Zweifler überzeugen.

Fat Freddy’s Drop (Foto: Thea Drexhage bs! 2018)

Beendet wird der Samstag von den neuseeländischen Fat Freddy’s Drop, die mit ihrem wilden Genremix aus Raggae, Jazz und Soul noch einmal etwas Schwung an den Strand bringen. Absolut nichts für Leute mit akuter Bläserphobie, wodurch sich unsere Redakteurin frühzeitig zurückzieht und das Tanzen den anderen überlässt.

Sonntag

Der Wettergott hat einfach kein Mitleid und lässt die sonst so unterkühlten Nordlichter

Atmo beim Watt en Schlick Fest (Foto: Thea Drexhage bs! 2018)

weiterhin schwitzen. Im Prinzip genau das richtige Wetter, um Sport zu…beobachten.
Heute steht eins der eigentümlichsten Highlights des Watt en Schlick an: Die Weltmeisterschaften im Schlickrutschen, bei welchen erprobte Wattwanderenthusiasten mit speziellen Schlitten durch den schwarzen Matsch rasen. Warum die Weltmeisterschaften ausgerechnet in Dangast stattfinden und wann das ganze endlich olympisch wird ist ein großes Mysterium. Unterhaltsam ist es allemal.

 

 

Noga Erez (Foto: thea Drexhage bs! 2018)

Musik gibt es am Sonntag aber auch. Den Anfang macht Noga Erez au Tel Aviv mit ihrem innovativen, endlich mal nicht ganz so aalglatten Elektro-Pop. Die Menschen auf ihren Strandhandtüchern lassen sich berieseln. Zur Freude der Musikerin finden sich aber auch vor der Bühne vereinzelte Tänzer ein.

Während sich Noga Erez ganz allein tanzend und hüpfend auf der Hauptbühne ausbreiten darf, quetschen sich nebenan auf der Palette die vier ausgewachsenen Musiker von Fibel zum Soundcheck auf die Palette, um im Anschluss über die „Kripo“ und ihren „Kommissar“ zu singen. ‘N bisschen Wave, ‘n bisschen Falco und irgendwie ne ganze Menge Berlin ist im Sound der vier Mannheimer zu hören und kann einen Teil der ZuschauerInnen die sich zwischen den drei kleinen, gleichzeitig bespielten Bühnen entscheiden müssen, an sich reißen.

Fibel (Foto: Thea Drexhage bs! 2018)

Black Super Man Gang

BSMG (Foto: Thea Drexhage bs! 2018)

Mit BSMG findet sich anschließend der erste wirklich eckige und kantige Act auf der Main Stage ein. Das 2017 gegründete Projekt der Rapper Megaloh und Musa hat es sich zur Aufgabe gemacht, ihre Musik den Themen Sklaverei, Ausbeutung und Chancenungleichheit besonders in Bezug auf Afrika zu widmen. Dies tun sie anhaltend, ernst und äußerst direkt, sodass die ein oder anderen HörerInnen dies als Angriff deuten könnten, was die Rapper in ihren Ansagen vehement verneinen und sich immer wieder für ihre Inhalte erklären. Diese direkten Botschaften mögen im ersten Moment tatsächlich erschreckend wirken, aber erschreckt man sich nicht immer, wenn man sich mit unbequemen Wahrheiten konfrontiert sieht?

 

Scheiß auf Rassismus, ich hass‘ alle Menschen gleich.

Juse Ju (Foto: Thea Drexhage bs! 2018)

Mit etwas weniger ernstem Hip Hop scharrt bereits Juse Ju mit seinen Turnschuhen auf der Palette und lädt ein zum gemeinsamen antifaschistischen Yoga. Oder zum antikapitalistischen Pilates – ganz so, wie jeder mag. Der Tausendsassa begeistert das überwiegend junge Publikum mit seinen bekannten Nummern, haut jedoch auch ne Menge Freestyles raus – erstaunlich, was sich alles auf „Watt“ reimt. Als er sich später Unterstützung von ÜBERRASCHUNG Fatoni holt, ist die Begeisterung groß. Dieser ist wie viele andere Musiker an diesem Wochenende einfach etwas länger geblieben, um das schöne Festival zu genießen.

Und dann ist er auch schon rum, der halbe Festivalsonntag. Vor der großen Hauptbühne toben haufenweise Kinder im Sand, fechten erbitterte Fußballturniere aus oder schlagen Räder. Ein wahrlich merkwürdiger Anblick auf einem Musikfestival und genau das macht das Watt en Schlick zu etwas ganz Besonderem. Alle drei Festivaltage bleibt es harmonisch und friedlich, im Prinzip spielt sich vor den Bühnen der ganz normale Strand- und Familienalltag ab. Die Securities haben quasi frei (machen aber natürlich trotzdem einen professionellen Job) und überhaupt entsteht mehr Urlaubsgefühl als Festivalstress.

Atmo beim Watt en Schlick Fest (Foto: Thea Drexhage bs! 2018)

Alles rot.

Die Fußbälle werden zur Seite geräumt. Auf

Kat Frankie (Foto: Thea Drexhage bs! 2018)

der Hauptbühne geht es mit Kat Frankie trotzdem kinderfreundlich weiter. Die aus Australien stammende Sängerin hat sich seit vielen Jahren mit ihrer Musik in Deutschland, besonders in Berlin, etabliert und das zu Recht. Frankie fügt sich mit ihrem anspruchsvollen, aber dennoch eingängigen Pop perfekt in das Festivalprogramm ein und erfüllt den gesamten Strand mit ihrer wunderbaren Stimme.

 

Alles grau. Alles grau in grau.

Isolation Berlin (Foto: Thea Drexhage bs! 2018)

Irgendwie auch wunderbar, aber irgendwie auch deprimierend nehmen im Anschluss die deutschen Antihelden von Isolation Berlin das Mikrofon in die Hand. Im dunklen Zelt, nicht in der Sonne- versteht sich von selbst. Isolation Berlin klingen wie Element of Crime. Ohne Humor, nach einem schweren Nervenzusammenbruch. Und irgendwie ist das gut. Live wirken die Songs etwas weniger niederschmetternd. Der Auftritt macht Spaß und der Teil der Menge, der bei Zeilen wie „Wenn ich eins hasse, dann ist das mein Leben. Und wenn ich noch was hasse, dann ist das mein Zustand“ nicht mit den Augen rollt, tanzt wacker mit.

Joan as Police Woman (Foto: Thea Drexhage bs! 2018)

Weniger grau und deprimierend vertonen Joan as Police Woman den Sonnenuntergang. Die US-amerikanische Multiinstrumentalistin überzeugt an Gitarre, Geige und Klavier, sowie mit ihrem phantastischen Gesang, doch fällt ein weiteres Mal auf, dass sowohl mit Joan als auch mit Kat Frankie auf der großen Bühne erneut auf Nummer sicher gegangen wurde.

Natürlich ist das Watt en Schlick familienfreundlich und natürlich erscheint es absolut

Atmo beim Watt en Schlick Fest (Foto: Thea Drexhage bs! 2018)

sinnvoll die internationalen Gäste auf der Hauptbühne zu platzieren, doch leider bleiben so aus der Masse der gefälligen Pop-Acts nur die wenigsten im Gedächtnis und verschwimmen zu einem allgemeinen Strandtagsuntermalung-ssoundtrack. Was jedoch hängen bleibt sind die KünstlerInnen auf den kleinen Bühnen, darunter auch viele Newcomer, die dieses ansonsten unglaublich schöne Festival als Plattform nutzen durften- Diese Plattform hätte in einigen Fällen etwas größer ausfallen können, also nur zu liebes Watt en Schlick,

 

zeigt Mut zu Ecken und Kanten.

Tocotronic (Foto: Thea Drexhage bs! 2018)

Aber es ist ja alles noch nicht vorbei. Mit Tocotronic wartet am Sonntagabend ein Headliner, der das beste aus gefälligen Melodien als auch Ecken und Kanten vereint. Die Urgesteine der Hamburger Schule spielen an diesem Abend in Höchstform durch ihre umfangreiche Diskografie und beeindrucken mit einer ausgefallenen Lichtshow. Zugegeben, die großen Besuchermassen warten nicht mehr vor der Bühne, schließlich ist es spät und Sonntag und die Kinder und überhaupt, doch das scheint weder Dirk, Arne, Jan und Rick, noch das Publikum zu stören. So werden noch bis tief in die Nacht Tocotronic Klassiker wie das gewaltige „Das Geschenk“ oder „Let there be rock“, als auch neuere, fetzige Nummern wie „Ich leb in einem wilden Wirbel“ und „Zucker“ gefeuert.

Tocotronic (Foto: Thea Drexhage bs! 2018)

Und dann endlich, nach „Freiburg“ dürfen die wilden Wattwürmer wieder ihre Ruhe genießen. Zumindest

 

bis zum nächsten Jahr.

Atmo beim Watt en Schlick Fest (Foto: Thea Drexhage bs! 2018)

Vollständige Festival-Galerie: Watt en Schlick

Links:
www.wattenschlick.de

Thea Drexhage
Thea Drexhagehttps://www.be-subjective.de
Thea Drexhage hat Salma Hayek einiges voraus! 10 mm. Wie die meisten Frauen der Redaktion, Duffy, Beth Ditto, Joan Rivers oder Angus Young kann sie die MusikerInnen aus dem Bühnengraben also völlig problemlos sehen, wenn jemand ihren Hocker trägt, wird aber - das hat sie mit Salma dann doch wieder gemein - dennoch viel zu oft auf Ihre Körpergröße, ihre Mähne und ihre leicht misanthropischen Anflüge reduziert. Damit sie also nicht im nächstbesten Titty Twister von Sonnenunter- bis Sonnenaufgang Menschenmengen und Bläser mätzelt, halten wir “Aggro-Thea”, die zuvor ganze Landstriche in Mecklenburg Vorpommern ausgerottet hat, halbtags im spießbürgerlichen Oldenburger Exil an der langen Leine. Seither legt sich die scheißpünktliche existentialistische Besserwisserin analog mit Sartre, Camus & Kodak an und ja, auch wir müssen neidlos zugestehen, dass der Instagram-Account ihrer beiden Katzen “Salma” und “Hayek” mehr Follower pro Tag hat, als unser webzine im ganzen Jahr.

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