Knappe 100 km trennen die Hansestadt Hamburg und das Künstler*innendorf Worpswede, das in der Kreativbranche Norddeutschlands eigentlich jedem geläufig sein sollte. Also fast jedem. Kettcar-Frontmann Marcus Wiebusch tritt am Abend des 29.5. das erste Mal in der traditionsreichen Music Hall auf und das ganz ohne Bandunterstützung. Songs & Stories so der Titel seiner kurzen Tour, ist ein Programm, dass sich nicht nur den Stücken von Kettcar widmet, sondern auch ein paar Schwenker durch Wiebuschs Solokariere und die Diskografie von …But Alive macht. Ein eher seltenes Ereignis, für das zahlreiche Menschen aus dem Nordwesten angereist sind.
Es gibt keinen Support, so ist die Music Hall schon zeitig gut gefüllt und vorgeheizt, doch Herr Wiebusch lässt die akademische Viertelstunde auf sich warten. Als er schließlich seinen Weg auf die Bühne findet, begrüßt er die Gäste mit einem hamburgisch-überschwänglichen:

Na?

Locker wird sich die Akustikgitarre umgeschwungen und kurz erklärt, warum es bei den vier ausgewählten Terminen ausgerechnet nach Worpswede ging. Ein kleines Warm-Up sollte es werden – er könne schließlich nicht unvorbereitet in Köln aufschlagen. Na, wenn er da mal nicht das kritische Worpsweder Publikum unterschätzt…Spaß beiseite.
Der hohe Hamburger auf der hohen Bühne angestrahlt wie ein Leuchtturm…ne, ist ja quatsch, Leuchttürme werden ja nicht angestrahlt, sondern strahlen aus… Der hohe Hamburger auf der hohen Bühne angestrahlt wie Mariah Carey vorm Weihnachtsbaum mit einer Ausstrahlung wie der standfesteste Leuchtturm startet sein Set mit einer Solonummer: Nur einmal rächen. Schön – lange nicht gehört. Das wird man sich an diesem Abend noch öfter denken. Die Stimmung ist ausgelassen, das Publikum entspannt. Wiebusch witzelt, die Gäste lachen, oft aus dem Herzen, manchmal aus Anstand.
Zu fast jedem Song gibt’s ‘ne Story, sei es nun ein Streit mit Thees Uhlmann, ein bekennender Connoisseur sperriger Songnamen, über den Titel von Fake for Real, welcher eigentlich Eine Kathedrale gebaut aus den Knochen von Harald Schmidt heißen sollte, über Punkverrat und linke Schwurbler – eigentlich ist alles dabei, nur die Stories über Reimer Burstorffs Mutter fehlen irgendwie – den hätte man ja als Sidekick mitnehmen können…

Das Publikum besteht überwiegend aus Kettcar-Fans, doch hier und da vernimmt man sie, die leisen Aufschreie des Glücks, wenn ein alter …But Alive Titel angestimmt wird, sei es nun Beste Waffe oder Erinnert sich jemand an Kalle del Heye (der einzige Fussballsong an diesem Abend). Aufgrund der liedermacherischen Natur dieser Tour fällt das Moshen zu diesen Nummern aus. Für die Meisten nicht schlimm, haben sie doch längst die Chucks gegen Barfussschuhe getauscht. Dass Marcus Wiebusch ein begnadeter Geschichtenerzähler ist, ist kein Geheimnis, so gelingt es ihm selbst mit leiseren Tönen den ganzen Saal zum Zuhören zu bringen.
Mit einem Repertoire, wie es sich der Hamburger Musiker über die Jahrzehnte aufgebaut hat, ist es schier unmöglich, jede*n glücklich zu machen, aber die getroffene Auswahl fügt sich harmonisch zusammen. Klar gibt’s die obligatorischen Zwischenrufe nach Balu, aber sonst zeigt man sich doch ganz zufrieden. Politisch wird’s nur hier und da. Doug und Florence dürfen genauso wenig fehlen, wie Sommer 89 das den Abend beendet. Es war ein gelungenes Konzert, ein nahbarer, authentischer Wiebusch, der sich in „Zeiten des absoluten Verfalls, wie er es nennt, den Humor nicht nehmen lässt.

Putzlicht. Konserve.
Manche sagen es wär einfach
Ich sage es ist schwer…
… wie bei Oasis damals.
Galerien (by Thea Drexhage bs! 2025)
Marcus Wiebusch
Setlist Marcus Wiebusch:
- Nur einmal rächen
- Am Tisch (Kettcar)
- Balkon gegenüber (Kettcar)
- Fake for real (Kettcar)
- Weit draußen (Kettcar)
- Beste Waffe (…But Alive)
- Notiz an mich selbst (Kettcar)
- Was hätten wir denn tun sollen
- Schrilles, buntes Hamburg (Kettcar)
- Mein Skateboard kriegt mein Zahnarzt (Kettcar)
- Betroffen aufessen (…But Alive) (@)
- Ein Brief meines 20-jährigen Ichs (Jedes Ideal ist ein Richter) (Kettcar)
- 48 Stunden (Kettcar)
- Erinnert sich jemand an Kalle del Haye (…But Alive)
- Anders als gedacht (Kettcar)
- Wir waren eine Gang
- Doug & Florence (Kettcar)
- Benzin und Kartoffelchips
(Kettcar)
Encore: - Ich werde sie Yoko Ono nennen (…But Alive)
- Rettung (Kettcar song)
- Sommer ’89 (Er schnitt Löcher in den Zaun) (Kettcar)
Links:
Marcus Wiebusch
GHVC