Review: Fortuna Ehrenfeld – Arsch im Tower (16.03.2018, Bremen)

Es ist wieder einer dieser gemütlichen Abende in einem dieser dunklen, kleinen Läden, die beständig die Fahne für die bunte, alternative Musikszene hochhalten. Fortuna Ehrenfeld spielen heute im bremischen Tower Musikclub. Als Support sollten eigentlich Atlantic Puffin auf der Bühne stehen, aber um diese Jahreszeit macht die Grippe vor niemandem halt – AUßER vor der bremischen Geheimwaffe, dem norddeutschen Bruce Springsteen (ist das nicht eigentlich Thees Uhlmann?), der rettenden Supportfeuerwehr Grillmaster Flash, welcher kurzerhand die Regie übernimmt. Die Freude unter den Bremern ist für Norddeutschland verhältnismäßig groß, ganz nach dem Motto

Einer von uns!
Einer von uns!

…wird er ohne Murren von der Menge akzeptiert. Vor der unabgegrenzten Bühne klafft die zwar übliche Zweimeterabstandhöflichkeitslücke, aber im Prinzip kratzt das niemanden.

Grillmaster Flash (Foto: Thea Drexhage bs! 2018)
Grillmaster Flash (Foto: Thea Drexhage bs! 2018)

Grillmaster Flash zieht durch übertriebenes Selbstbewusstsein und verschrobenem Humor die Sympathie der Gäste auf sich und schafft das, was nur wenigen Singer/Songwriter/Menschendiealleinmitgitarrenaufbühnenstehen gelingt: Die Leute hören zu statt zu quasseln. Die Musik ist energetisch, witzig und macht Spaß, ob nun das selbstironische theesuhlmann-eske „(Ich war nie) Rock `N Roll“ oder die Hymne an „Bud Spencers Bart“ – Die Songs funktionieren, ab und an sogar so gut, dass man so etwas wie Publikumsbeteiligung erahnen kann. Aber mit der typisch nordischen Zurückhaltung kann so ein echter Bremer natürlich umgehen und nutzt die Stimmung für sich und seine Show. Nach einem neuen Stück über wilde Zsa Zsa Gabor-Fantasien geht es zügig von der Bühne, nachdem selbst aufgeräumt wurde versteht sich.

42,7Cm

Fortuna Ehrenfeld (Foto: Thea Drexhage bs! 2018)

Gefühlte 10 Sekunden später steht auch schon Martin Bechler mit seinen beiden MitmusikerInnen als Fortuna Ehrenfeld auf der Bühne. Der Höflichkeitsabstand minimiert sich auf etwa 42,7cm, der Tower ist plötzlich prall gefüllt. Bechler kommt mit Pyjama in völlig zerfickten Bärentatzenpuschen auf die kleine Tower-Bühne geschlurft und gönnt sich einen Schluck aus seiner Rotweinflasche, bevor er die Gäste begrüßt. Diese kleben von der ersten Sekunde an seinen Lippen, schunkeln mit und sind erstaunlich textsicher, vor allem, wenn mensch bedenkt, das der Kurs von Fortuna Ehrenfeld erst vor wenigen Monaten begonnen hat, in die Höhe zu klettern – nicht zuletzt durch den enormen Support durch das Grand Hotel Van Cleef, welchem Bechler in einem charmant witzigen, aber irgendwie doch minimal zu langen Dauerwerbesendung dankt.

Fortuna Ehrenfeld (Foto: Thea Drexhage bs! 2018)

In der Regel freut sich das Publikum jedoch über die langen Ansagen und Anekdoten, ähnlich wie die grandios schrägen Songtexte sind diese voll von skurrilem Humor und krudem Charme. Die Musik ist live wie auch auf Platte unaufgeregt, perfekt für Konzerte in Clubs wie dem Tower oder für verkaterte Sonntage, die sicherlich dem ein oder anderen Abend mit Fortuna Ehrenfeld folgen.  Die Songs sind überwiegend ruhig, jedoch gibt es mit „Analoges Mädchen“ oder „Hundeherz“ auch Ausflüge auf die laute Seite der Nacht. Die Mitsingparts beschränken sich auf Phrasen wie:

Schlafen, Ficken, Schlafen, Ficken, Schlafen, Ficken, Schlafen, Ficken.

Fortuna Ehrenfeld (Foto: Thea Drexhage bs! 2018)

Das kriegen selbst die wortkargen Bremer hin. Die Stelle „Ich bin eine Rakete und ich schieß mich zum Mond, dann ist endlich der Mond, auch bewohnt“, die dem Publikum allein überlassen wird, grenzt jedoch an akute Überforderung. Das Gesangsgulasch, welches letztendlich die Bühne erreicht, wird mit lachendem Kopfschütteln der MusikerInnen, welche im Übrigen ganz wunderbar miteinander harmonieren,  abgetan. Einfach weiter im Programm. Bei „Arsch am Meer“ klappt auch das Mitsingen wieder besser.

Ich bin der Arsch am Meer.

-damit kann mensch sich im Norden eben identifizieren. Leider findet der Abend ein ungewollt schnelles Ende. Auf Grund einer anschließenden Party muss auf die ein oder andere mögliche Zugabe verzichtet werden, wie Bechler mehrfach bedauernd anmerkt. Mit dem schwermütigen „Penn Könn“ wird das Publikum nach einem letzten Mitsingversuch und einem herzhaften SCHALALALALALALALA DUMDIDIDUMDUMDUM entlassen.

 

(Für ein ausgiebiges Pläuschchen mit gefühlt allen Gästen am Merch-Tisch reicht die Zeit dann zum Glück aber doch noch, während aus den Boxen die Musik der Van Cleef Chefs Uhlmann und Wiebusch ertönt)

Galerien (by Thea Drexhage bs! 2018):

Fortuna Ehrenfeld (Foto: Thea Drexhage bs! 2018)

Setlist:

  1. Zuweitwegmädchen
  2. Matrosen
  3. Bengalos
  4. Nach Diktat verreist
  5. Rakete
  6. Gegen die Vernunft
  7. Analoges Mädchen
  8. Arsch am Meer
  9. Das letzte Kommando
  10. Alles Explodiert
  11. Glitzerschwein
  12. Hundeherz
  13. Zwei Himmel
  14. Im Puff von Barcelona
  15. Penn‘ Könn‘

Links:
www.facebook.com/Fortuna-Ehrenfeld
www.grillmaster-flash.de

Veranstalter:
Cult Pro Events

Thea Drexhage
Thea Drexhagehttps://www.be-subjective.de
Thea Drexhage hat Salma Hayek einiges voraus! 10 mm. Wie die meisten Frauen der Redaktion, Duffy, Beth Ditto, Joan Rivers oder Angus Young kann sie die MusikerInnen aus dem Bühnengraben also völlig problemlos sehen, wenn jemand ihren Hocker trägt, wird aber - das hat sie mit Salma dann doch wieder gemein - dennoch viel zu oft auf Ihre Körpergröße, ihre Mähne und ihre leicht misanthropischen Anflüge reduziert. Damit sie also nicht im nächstbesten Titty Twister von Sonnenunter- bis Sonnenaufgang Menschenmengen und Bläser mätzelt, halten wir “Aggro-Thea”, die zuvor ganze Landstriche in Mecklenburg Vorpommern ausgerottet hat, halbtags im spießbürgerlichen Oldenburger Exil an der langen Leine. Seither legt sich die scheißpünktliche existentialistische Besserwisserin analog mit Sartre, Camus & Kodak an und ja, auch wir müssen neidlos zugestehen, dass der Instagram-Account ihrer beiden Katzen “Salma” und “Hayek” mehr Follower pro Tag hat, als unser webzine im ganzen Jahr.

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