Review: Edguy – fünf Kacknasen spielen alten Scheiß (16.09.2017, Hamburg)

25 fucking Jahre Edguy – Und in dieser Zeit nur ein einziger Mitgliederwechsel. Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen! Welche Band kann das heutzutage noch von sich behaupten?

Grund genug für Touraholic Tobias Sammet das reanimierte Avantasia mal kurz zur Seite zu legen um mit Edguy dieses Spektakel ausgiebig zu zelebrieren. Sogar schon knapp eine Woche vor Tourstart sind 6 von 13 Terminen ausverkauft.

Knapp eine Stunde vor Einlass ist eine Schlange mit Kuttenträgern vor der Markthalle Hamburg zu erahnen. Verglichen mit Konzerten von Bands die eher das jüngere Publikum anlocken, ist sie erfreulicherweise recht kurz.

Kurz vor Einlass sieht das ganze schon wieder anders aus. Die Schlange reicht mittlerweile bis zur Straße in Richtung Hamburger Hauptbahnhof; Und wer weiß schon so genau, wie weit sie hinter der Ecke an der Straße noch weiter geht. Die Vorband verschafft sich auf der Terasse vor dem Eingang einen Überblick und winkt schon einmal ganz eifrig.

The Unity ist diese Vorband, die uns als musikalische Vorspeise serviert wird. Eine Google Suche später lässt sich für den Supportslot etwas Hard-Rockiges erahnen. Immer wieder ein Genuss, wenn das Genre der Vorband optimal zu dem des Hauptaktes passt.

The Unity (Foto: Dragana Urukalo bs! 2017)
The Unity (Foto: Dragana Urukalo bs! 2017)

The Unity sind aber nicht irgendwelche Newcomer. Die 2016 gegründete Band wurde nämlich unter anderem von Bandmitgliedern von Gamma Ray gegründet.

Gespannt wird nach Einlass also auf The Unity gewartet. Als dann Eduard Khil’s „I am very glad, as I’m finally returning back home“ – den Internetaffineren Menschen besser bekannt als das Trololol-Lied – in voller länger als Intro eingespielt wird, blickt man in die ahnungslosen Gesichter der älteren Generation an denen das Internet-Meme bisher vorbeigegangen zu sein scheint.

Mit dem ersten Song des Abends „Rise and Fall“ fängt der Abend auch offiziell an. Italiener und Frontmann Gianbattista Manenti begeistert von der ersten Minute an das Publikum mit seiner Stimme und vor allem seiner Stimmung. Pommesgabeln wohin man auch schaut und alles deutet darauf hin, dass die Stimmung schon jetzt am Anfang kocht. Trotzdem steigt sie Song für Song noch höher, was wohl daran liegt wie die Band mit den KonzertbesucherInnen interagiert. Den Fotografen werden Posen noch und nöcher entgegen gepfeffert und das Publikum wird immer wieder mit dirigentengleichen Armbewegungen vom Frontmann zum Abgehen aufgefordert.

„Are you already müde?“

Trotz der Spieluhr im Intro von „Close to Crazy“ wird niemand hier so schnell müde. Ganz im Gegenteil: Das Publikum ist jetzt so richtig wach und scheut sich auch nicht im gegenseitigen Jubelwettkampf in zwei Gruppen gegeneinander anzutreten.

The Unity (Foto: Dragana Urukalo bs! 2017)

Das Publikum scheint überzeugt und verabschiedet The Unity mit tosendem Applaus.

In der Umbaupause wird es kurz nochmal leer im Saal. Während sich die Leute in der Markthalle den Wolf abschwitzen und versuchen sich an der Bar wieder mit Flüssigkeit zu versorgen und die Leute vor der Halle natürlich nur für ‚Frischluft‘ in der Lunge sorgen, werden auf der Bühne riesige zusätzliche Scheinwerfer auf der Bühne drapiert. Edguy Frontmann Tobias Sammet weiß, wie man sich in Szene setzt.

„Hamburg,
ihr Kacknasen!“

Schon in den ersten Minuten ist das Publikum euphorisch as fuck. Fassungslos über dieses Wahnsinnspublikum, fragt Mastermind Tobias Sammet sich wahrscheinlich eher selbst als das Publikum, was denn bitte hier los ist. Das Konzert in Hamburg ist ausverkauft und es herrscht sogar gute Stimmung? Für manch EventplanerIn anscheinend unvorstellbar.

Edguy (Foto: Dragana Urukalo bs! 2017)

Wer Tobias Sammet schon einmal Live gesehen hat – dabei ist es egal ob mit Avantasia oder Edguy – der weiß wie viel dieser Mann reden kann. Auf Festivals sind die BesucherInnen häufig geteilter Meinung, ob sie es gut oder scheiße finden sollen.

Doch irgendwie kann man es nicht leugnen, dass es immer wieder Charmant ist als „Kacknase“ bezeichnet zu werden oder sich Geschichten vom Haustier „Billy“ dem Hamster, der an Bindehautentzündung gestorben war anzuhören. Anstatt sich empört am Gelaber zu stören, wird geschmunzelt. Ja es ist größtenteils Bullshit der gelabert wird. Aber verdammt unterhaltsamer Bullshit, der schmerzlich vermisst werden würde, wenn er gefehlt hätte. In der Fangemeinde hat man halt noch Humor.

Die Band hat Bock und erfreut sich am aktiven Publikum. Das Spiel mit dem Publikum genießen sie sogar so sehr, dass aus „Lavatory Love Machine“ plötzlich „Maria (I like it loud)“ von Scooter wird. Es sollte nur eine kurze Interaktion mit dem Publikum werden, endet jedoch damit, dass Edguy komplett aus ihrem eigenen Song draußen sind.

„Hört mal eben weg. Das würde
i
n einer professionellen Band
wie Slayer nie passieren!“

Nach erfolgreicher Neuorientierung, folgen einige Witzchen über Drummer Felix, was auf Konzerten schon fast zum Standartprozedere geworden ist und Lobeshymnen an Tontechniker Achim.

„Achim, wir würden dich zum Bumskanzler wählen! Amen Achim.“

Kurz darauf legt der gemobbte Felix ein Drumsolo hin, welches wahnsinnig beeindruckend anzusehen und vor allem anzuhören ist. Zum Game Of Thrones Soundtrack malträtiert er regelrecht das Schlagzeug mit einem Doublebass und kassiert vom Publikum trotz dem am Ende weggeworfenen Stick Ruhm und Ehre. Und wenn wir ehrlich sind: Jede andere Reaktion wäre auch unmenschlich gewesen.

Edguy (Foto: Dragana Urukalo bs! 2017)

Wieder folgt Gequassel und wieder wird den KonzertbesucherInnen versichert, dass dieser Abend ganz besonders ist. Denn bei den so sonst unterkühlten Nordlichtern komme man sich bei dieser Stimmung plötzlich vor wie in Brasilien. Auf die Frage hin, was sich denn nun gewünscht werde, ist sich das Publikum einig. Erst fängt ein einzelner Konzertbesucher im Hintergrund an, dann lässt sich der Rest mitreißen.

„Alter Scheiß! Alter Scheiß! Alter Scheiß! …“

Und geliefert wird was? Richtig! Richtig alter Scheiß. Sogar so alter scheiß, dass kurzerhand der Song auf der Setlist „Save Me (2009) gegen das 11 Jahre ältere „Out Of Control(1998) ausgetauscht wird. Mit dem allseits bekannten hessischen Sprichwort „Jeder scheiß muss irgendwann auch mal zu Ende gehen“, wird nach über eineinhalb Stunden plötzlich klar, dass der Abend tatsächlich kurz vor dem Ende ist. Schon fast erschreckend, wie die Zeit wie im Fluge vergeht.

„Jetzt spielen wir noch alten Scheiß. […] von Helloween geklaut – Das war mehr Helloween, als Helloween selbst Helloween waren…“ 

Es folgt „Babylon“ ehe es dann in die Konzertverlängerung geht. Die Zugaberufe sind laut, das Geklatsche noch lauter und die Stampfer auf den Boden untermalen den herzenstiefen Wunsch die Band wieder zurück auf die Bühne holen zu wollen. Natürlich zeigen auch Edguy erbarmen – Wer hätte es gedacht? – und fragt, was denn überhaupt gehört werden will. Die einzig richtige Antwort: „Alter Scheiß!“. Was will man denn auch sonst auf einer „25-Jahre Jubiläum“-Tour erwarten?

Edguy (Foto: Dragana Urukalo bs! 2017)

Die Zugabe ist gespielt, das Publikum scheint zufrieden mit dem Verlauf des Abends und die Band mit dickem Grinsen im verschwitztem Gesicht scheint immer noch nicht begriffen zu haben, was am zweiten Tourtag eigentlich schon alles geschehen ist. Es sind einfach Konzerte wie diese, die einfach allen Spaß machen. Ein angenehmes Publikum, welches sich nicht verhält wie eine offene Hose und eine Band die sichtlichen Späße an dem hat, was sie tut.

Edguy (Foto: Dragana Urukalo bs! 2017)

Abschließend wird noch einmal gelobt, denn Tobias Sammet erzählt, er habe schon wirklich sehr oft in dem Hamburger Markthalle gespielt, aber eines sei sicher:

„Ich habe noch nie so ein cooles Markthallen-Ding hier gesehen!“,

Galerien (by Dragana Urukalo bs! 2017):

 

 

Text: Dragana Urukalo

Setlist The Unity:

  1. Rise And Fall
  2. Firesign
  3. No More Lies
  4. God Of Temptation
  5. Close To Crazy
  6. Send Me A Sign (Gamma Ray Cover)
  7. Never Forget
Edguy (Foto: Dragana Urukalo bs! 2017)

Setlist Edguy:

  1. Love Tyger
  2. Vain Glory Opera
  3. Mysteria
  4. Land Of The Miracle
  5. Lavatory Love Machine
  6. The Piper Never Dies
  7. Tears Of A Mandrake
  8. Ministry Of Saints
  9. Out Of Control
  10. Babylon
    Encore
  11. Superheroes
  12. King Of Fools

Links:
www.edguy.net
www.unity-rocks.com
markthalle-hamburg.de

 

 

be subjective!
be subjective!https://www.be-subjective.de
be subjective! music webzine est. 2001 Live-Berichte und Konzertfotos stehen bei uns im Fokus. Die richtigen Wort für neue Töne, musikalische Experimente, Stimmungen in Bildern gebannt, Mega Shows in neuen Farben. Der Atem in deinem Nacken, die Gänsehaut auf Deiner Haut, der Schweiß durchtanzter Nächte zum Miterleben und Nachbeben. Interviews mit Bands und MusikerInnen.  be subjective! aus der Musikszene für mehr Musikkultur. 

Weitere Artikel

Ähnliche Beiträge

Preview: Kovacs lockt mit verruchter Anziehungskraft [2024]

Sharon Kovacs ist ein rätselhaftes Phänomen. Die aus den...

Preview: Liebe ist geiler scheiß – Idles auf Tour (2024)

Idles haben sich im Laufe der letzten Jahre weltweit...

Review: Kurze Alltagsflucht mit Slowdive (20.01.2024, Hamburg)

Schon eine halbe Stunde vor Einlass reicht die Schlange...

Preview: Moyka spielt ihre erste Europa Tour! [2024]

Moyka wuchs im Wald des Hallingdal-Tals auf, einer Gegend,...