Review: Dropkick Murphys -„Let’s Go Murphys“- Familienfest mit Shit & Schönheit (23.01.2017, Berlin)

Die wichtigsten Menschen versammelt in einem Raum, die Gäste sind geladen, draußen Temperaturen um den Gefrierpunkt, drinnen gibt es gepflegte Getränke und die passende Musik – alles ist angerichtet an einem Montagabend im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg. Nach knapp drei Jahren laden die Irish-Folk-Punks der Dropkick Murphys in die Max-Schmeling Halle, um Ihr 21jähriges Bestehen und das neunte Studioalbum „11 Short Stories of Pain & Glory“ zu zelebrieren. Kurz nach der Veröffentlich sind die Jungs auf Tour und machen am dritten Abend gleich halt in der deutschen Hauptstadt.

Auf der diesjährigen Reise durch Europa haben die Dropkick Murphys gleich zwei Familienangehörige geladen – Support-Bands ist der falsche Ausdruck, denn dafür kennen sich alle Beteiligten zu lange – um ihre Feierlichkeit zu eröffnen, doch wie so oft wird nicht jeder die ersten Höhepunkte erleben. Auch wenn beim Einlass großer Andrang herrscht, ist die Halle noch halbleer, denn es gehört zumindest in Berlin zum guten Ton nicht zu früh zu erscheinen und das wird sich, zumindest an diesem Abend, rächen.

ohne Drinks wird nirgends gefeiert

Skinny Lister (Foto: Andreas Budtke bs!)

Den Anfang machen gegen 19:50 Uhr das Londoner Sextett Skinny Lister um die Sängerin Lorna Thomas. Vielen bereits ein bekannter Name aufgrund erfolreicher Support-Shows für Frank Turner und einer Headliner-Tour im Sommer des letzten Jahres. Jetzt sind sie mit ihrem dritten Album „The Devil, The Heart and the Fight“ zurück in der deutschen Metropole. Hier wird nicht lang gefackelt und ihre stimmungsvollen Folk-Hymnen sind perfekt zum Tanzen („Forty Pound Wedding“) und euphorischem Mitsingen („Seventeen Summers“), sie zünden sofort – keine Frage. Die Band zeigt alles was sie kann und erobert von Song zu Song die Herzen der vordersten Reihen. Es dauert nicht lange und der berüchtigte Krug voller Rum geht durch die Massen. Jede/r der will, bekommt seinen bzw. ihren verdienten Schluck, denn ohne Drinks wird nirgends gefeiert. Innerhalb von 35 Minuten tanzt der Großteil des Innenraums und viele Fans werden höchstwahrscheinlich die geplante Tour der Band im November zu einem eigenen Fest machen.

Slapshot (Foto: Andreas Budtke bs!)

Der Umbau auf der Bühne geht rasch voran, der Zeitplan ist eng, das Banner und die Instrumente werden gewechselt und nach einer kurzen Verschnaufpause von 15 Minuten betreten die drei Bostoner Hardcore-Punks von Slapshot die Bühne. Sie sind das musikalische und regionale Familienglied der Murphys. Mit über 30 Jahren Bühnenerfahrung zeigt das Trio eine typische Old Show Hardcore Show. Es gibt gefühlte 20 Songs in 30 Minuten.

Je größer die Veranstaltung, desto gespaltener ist die Stimmung – für die einen ist es das perfekte Gegenstück zum folkigeren Intro, für die anderen erzeugt die kompromisslose Show viele Fragezeichen und Kopfschütteln.

Wie auf jeder Feier wird nicht jeder Gast mit Beifall willkommen. Die Fans der Band feiern bis an die Schmerzgrenze, grölen und tanzen Pogo bis zum Umfallen, die andere Hälfte des Publikums hält sich die Ohren zu. Es ist laut, es ist wild und die Message des Frontmanns – und einzig verbliebenen Gründungsmitglieds – Jack Kelly ist eindeutig: Slapshot machen „just hardcore“ und sie geben den Massen „more hardcore“.

Auf den Punkt gebracht!

Während der letzten Umbaupause füllt sich die Halle und insbesondere der Innenraum bis in den letzten Winkel. Das Konzert ist restlos ausverkauft und dementsprechend stickig. Noch schnell eine Zigarette angemacht, ein frisches Bier geholt, die Fäuste in die Luft gestreckt und lautstark „Let’s go Murphys“ skandiert.

Gegen 21:45 Uhr erlischt das Licht im Saal, das Intro ertönt und der Schriftzug der Band erscheint in Großbuchstaben unter visuellen Rauchschwaden auf dem Vorhang. Dropkick Murphys. Die Scheinwerfer strahlen aus dem Hintergrund, bringen die Schatten der Band auf den Vorhang und „The Lonesome Boatman“, der Eröffnungstrack vom neuesten Werk, ertönt. Alle Beteiligten wissen sofort wie die Feierlichkeit voranschreiten wird, bei „Rebels With A Cause“ fliegen die ersten Bierbecher und spätestens bei der Lokalhymne der Murphys, „The State of Massachussets“, gibt es kein Halten mehr.

Dropkick Murphys (Foto: Andreas Budtke bs!)

Die ersten Songs zeigen die Live-Qualitäten der Band in voller Gänze, Folk-Punk in Perfektion. Es wird geklatscht, gegrölt und ein Moshpit nach dem anderen entsteht. Niemand interessiert sich für die Begleiterscheinung wie den matschigen Sound der Mehrzweckhalle und die Begrüßung der Band um Sänger Al Barr ist herzlich:

„Berlin, du hast ja keine Ahnung wie schön du bist!“

Dropkick Murphys (Foto: Andreas Budtke bs!)

Alle sind gekommen, ob jung ob alt, ob Punk oder Hipster, jede/r hat einen eigenen Bezug zu den Murphys – textsicher sind die Angehörigen allemal, sei es bei ganz neuen Songs wie „First Class Loser“ oder dem vom Debütalbum allseits geschätzten „Boys on the Docks“. Die Party wird immer ausgelassener, verschwitzte Körper tanzen sich durch die Massen und spätesten beim weltweit bekannten Rodgers and Hammerstein Cover „You’ll Never Walk Alone“ hält es auch auf den Rängen niemanden mehr auf dem Sitz. Die Halle steht geschlossen und brüllt die Songzeilen mit vollster Kraft, sodass selbst die Südtribühne in Dortmund oder die Anfield Road in Liverpool vor Neid erblassen würde. Auf die Euphoriewelle folgt sogleich „I’m Shopping Up To Boston“ welcher das Hauptset abschließt.

„Let’s Go Murphys“

Dropkick Murphys (Foto: Andreas Budtke bs!)

Kaum sind die Jungs von der Bühne runter mischen sich „Let’s Go Murphys“- und Zugabe-Rufe in ein klar definierbares Verlangen nach mehr – so kann eine Feier nicht enden und früher nach Hause geht keine/r. Nach wenigen Minuten betreten die Bostoner mit „The Boys Are Back“ die Bühne und bei dem zweiten Song der Zugabe „Kiss Me, I’m Shitface“ nähert sich die Party dem Siedepunkt, denn vor allem weibliche Fans dürfen auf die Bühne, um Arm in Arm mit Ihren Helden zu feiern. Sie geben den Massen was sie verdienen – absoluten Spaß und Glückseligkeit.

„Kiss Me, I’m Shitface“

Wie auch auf ihrem neuesten Album beschließt „Until The Next Time“ ein perfekt organisiertes 90-minütiges Set. Es ist nicht nur ein Songtitel, sondern auch eine Ansage, denn sie kommen definitiv wieder und entlassen Ihre Familie mit strahlenden Gesichtern in die Nacht. Am Ende ist alles wie immer: Es wird diskutiert, es wird weiter gefeiert oder einfach nur nach Hause gegangen. Ob der Alkohol im Körper oder das Blitzeis auf den Straßen Berlins, jede/r verlässt den Ort des Spektakels mit einem leichten Wanken und weiß ganz genau, dass es bis zum nächsten feuchtfröhlichen Zusammentreffen nur eine Frage der Zeit ist.

Text: David Brix

Galerien (by Andreas Budtke bs!):

Setlist:

  1. The Lonesome Boatman (Extended Intro)
  2. Rebels with a Cause
  3. Sunday Hardcore Matinee
  4. The State of Massachusetts
  5. The Warrior’s Code
  6. Hang ‚Em High
  7. I Had a Hat ([traditional] cover)
  8. Sandlot
  9. Going Out in Style
  10. Blood
  11. Finnegan’s Wake
  12. First Class Loser
  13. God Willing
  14. The Wild Rover ([traditional] cover)
  15. Paying My Way
  16. (F)lannigan’s Ball
  17. Boys on the Docks
  18. Rose Tattoo
  19. Out of Our Heads
  20. You’ll Never Walk Alone (Rodgers & Hammerstein cover)
  21. I’m Shipping Up to Boston
    Encore:
  22. The Boys Are Back
  23. Kiss Me, I’m Shitfaced
  24. Skinhead on the MBTA (Stage gets quickly crowded… more )
  25. Until the Next Time

Links:
www.dropkickmurphys.com
www.facebook.com/DropkickMurphys

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