Review: „Nimm Drei“ Rausch. Tanz. L(i)ebe. Dritte Wahl meets SystemfehlA (30.09.2016, Hannover)

Als Beule, Schnute und Lappen an diesem letzten Tag des Sommers mit 1,8 °% auf dem Kessel ins Musikzentrum stolpern, ihre letzten Schnorrerkröten an die Krebshilfe spenden und über die Bierauswahl die Nase rümpfen, staunt Lappen mit offener Gusche, dass die Fans der Dritten Wahl – wie der vollvernietete Irokesen-Dreier – inzwischen ein stattliches Alter erreicht haben, obgleich diese Band es noch immer schafft, Fans der jüngsten Generation für sich einzunehmen. »In der Masse«, so streicht sich Beule nachdenklich über die Rübe, »werden die Geheimratsecken größer und die Iros dünner.«

Keine Angst vor Pogo

SystemfehlA (Foto: Isabelle Hannemann bs!)
SystemfehlA (Foto: Isabelle Hannemann bs!)

Lappen bekommt davon nichts mit, er ist gefesselt von der Tatsache, dass der Merch-Stand hier beliebter ist als die Theke. Wen wundert’s bei diesem – das muss auch Schnute neidlos anerkennen – wirklich edlen Design. Bevor der Graficker (Beule kichert) jedoch über Artwork, corporate identity und Co. lamentieren kann, läutet der lokale Support den »Nimm Drei« Abend mit Klassikern aus dem Deutschpunk ein.

»Weniger reden, mehr spielen«

SystemfehlA (Foto: Isabelle Hannemann bs!)
SystemfehlA (Foto: Isabelle Hannemann bs!)

SystemfehlA. Das DreiMannGespann aus der Nachbarschaft schafft es, das Publikum mit den ersten drei bis vier Songs immer näher an die Bühne heran- und erste Zuckungen aus den Knochen der Gäste herauszulocken. SystemfehlA sind seit ›fufzehn‹ Jahren im Geschäft und auf den Bühnen hier und da unterwegs, noch immer voller Spielfreude und augenscheinlich ohne jedes Lampenfieber – eine Entspanntheit, die sich durchaus auf’s Publikum überträgt.

»Richtig nervös funktioniert bei uns nicht mehr, nach dem 100ten Konzert bist du nicht mehr nervös, dafür machen wir das schon zu lange. «

SystemfehlA bei denen es im ersten Jahr zahlreiche Besetzungswechsel gegeben hat, spielten ihren ersten Gig in der Stammbesetzung als Support für die Dritte Wahl, da freue man sich natürlich, wenn die Rostocker in der Gegend sind und belebt diese musikalische Beziehung wann immer sich dies anbiete.

SystemfehlA: Medienevent (2009)
SystemfehlA: Medienevent (2009)

Ey, ob SystemfehlA och von »Nimm Drei« geprägt sind?

Na klar, wobei Norm (Gesang + Bass) die Dritte Wahl auch schon bei ›Fasching in Bonn‹ abgefeiert habe. Man trifft sich hier also musikalisch, politisch und inhaltlich in vielen Punkten, so habe Gunnar auch ›Freie Menschen‹ für’s ›Medienevent‹ eingesungen. [Nix Gut/ finetunes.] Würde man die Jungs Fragen, was neben Politpunkt noch Einfluss auf ihre Musik habe, würden SystemfehlA sicherlich uneinig antworten.

»Das Gemeine ist, dass die einzelnen Bandmitglieder relativ unterschiedliche Musikgeschmäcker haben.« Stehe Norm für Deutschpunk, Wave- und Gothikkram, liebe Daniel (Schlagzeug) das ganze Ami-Hardcorezeug, während Stefan das Ganze mit einem Faible für Einflüsse aus der irischen Musik, Folk und Rock `n Roll komplettiere.

SystemfehlA (Foto: Isabelle Hannemann bs!)
SystemfehlA (Foto: Isabelle Hannemann bs!)

»Und wer jetzt denkt, das würde sich ergänzen. NEIN. Wir streiten uns jedes Mal tierisch, treffen uns aber beim Deutschpunk.«

Songwriting, das sei bei SystemfehlA also eine Art Krieg der Welten, wobei die Musik speziell das Problem sei, denn bei den Texten seien sich die Deutschpunks immer sehr einig. SystemfehlA, sind keine Fehler, aber `ne fette Empfehlung wert. »Sehr sympathische Menschen, aber das macht ja nichts.« Beule zuckelt noch nach. Kurze Pause. Rauchen. Bier.

Dritte Wahl. Rausch.

»Laß uns zusammen den Rausch probieren
Laß deine Sinne vom Nebel verführen«

Dritte Wahl (Foto: Isabelle Hannemann bs!)
Dritte Wahl (Foto: Isabelle Hannemann bs!)

Bis Beule, Lappen und Schnute es geschafft haben, sich zurück auf’s Pogoparkett zurückzuschlängeln, ist das grau melierte Publikum längst am Siedepunkt angekommen. Dritte Wahl legen auf einem Stimmungslevel los, das manche Bands nicht mal bei einem Heimspiel mit Freibier erreichen. Beule attestiert fachmännisch: PARTY!!!

Es ist in der Tat unfassbar: Ob HelloKittyPunkeline oder Pensionär, das Publikum strahlt und tanzt vom ersten bis zum letzen Takt, strahlt naturbreit, euphorisiert oder grüngerauscht, alles möglich, alles mit dabei.

Rausch.

Dritte Wahl (Foto: Isabelle Hannemann bs!)
Dritte Wahl (Foto: Isabelle Hannemann bs!)

Dritte Wahl sind eine sichere Bank. Gunnar moderiert sich charmant durch die Setlist, die durchaus von Evergreens dominiert wird, Lappen staunt über ›den Neuen‹, der Holger heißt, gar nicht so neu ist und sich an den Keys und der zweiten Gitarre im Hintergrund hält und Bassist Stefan lässt sich das Crowdsufing nicht nehmen.

Dritte Wahl sind fett, denkt Lappen und zieht an der Kippe von seinen Nebenmann. Das Rauchverbot wird vor lauter Ekstase ausgehebelt und Schnute verliert beim Knutschen mit dem Gitarrenmonitor, zerquetscht zwischen diversen fliegenden Ellenbogen und Pogopopos, einen Zahn. Ob der Plural von Ellenbogen Ellenbögen ist? Nee. Singularetantum, denkt Schnute und dass sie mehr Bier braucht.

Dritte Wahl (Foto: Isabelle Hannemann bs!)
Dritte Wahl (Foto: Isabelle Hannemann bs!)

»IHR SEID SO WIE SIE WOLLEN DASS IHR SEID
UND SIE WOLLEN DASS IHR BLEIBT WIE IHR SEID ALLE ZEIT«

Nimm Drei. Nimm das. Rührt Euch. Steht bequem. Auch wenn Stagediver sich auf einem schwitzenden Meer aus Händen durch den Abend tragen lassen und jedes noch vorhandene Haupthaar fliegt, heißt das nicht, dass Dritte Wahl `ne reine Partyband sind. Politpunk meets Beziehungskrise, Ballade meets Animalisches und Lappen grölt mit.

»DENN NUR WEIL ICH ES AUCH WILL HEISST DAS NICHT DASS ICH WIE DU FÜHL

Vermutlich sind es gerade diese zarten Gefühle – Wut, Schmerz, Liebe – verpackt in raue Akkorde, die Dritte Wahl zu einer Band machen, die generationenübergreifend den Funken überspringen lässt. Gefühle kennen kein Alter. Beule, Schnute und Lappen sind besoffen vor Glück und singen sich durch die Nacht… Prädikat: Euphorisierend.

Dritte Wahl (Foto: Isabelle Hannemann bs!)
Dritte Wahl (Foto: Isabelle Hannemann bs!)

»All meine Träume und Ziele
Sind plötzlich vom Winde verweht
Was bleibt ist nur die Gewissheit
Dass alles vergeht«

Gallerien:

Setlist Dritte Wahl:

  1. Rausch
  2. Geblitzdingst
  3. Fragen
  4. Resolution der Kommunarden
  5. Zu wahr um schön zu sein
  6. Zu klein
  7. Auge um Auge
  8. Nichts geschafft
  9. Störung
  10. Lust
  11. Ich hab da diesen Tick
  12. Kneif mich!
  13. Hash
  14. Der Spiegel
  15. Alles vergeht
  16. Wo ist mein Preis?
  17. Wegsehen
  18. So wie ihr seid
  19. Militär
  20. Greif ein
  21. Fliegen
    Encore:
  22. Fliegen (Reprise)
  23. Und jetzt?
  24. Hol mich hier raus
  25. Sirenen
  26. Was weiß ich schon von der Liebe
    Encore 2:
  27. Zeit bleib stehen!
  28. Der Schatten
  29. Kein Wort
  30. 2/9/2/2/0/2/1/F/A
Dritte Wahl (Foto: Isabelle Hannemann bs!)
Dritte Wahl (Foto: Isabelle Hannemann bs!)

Setlist SystemfehlA:

  1. Veränder die Welt
  2. Bevor wir untergehn
  3. Freie Menschen
  4. Polizei, Police, Policia
  5. Kein Liebeslied
  6. Ernst August
  7. Keine Angst
  8. Die Straßen beben
  9. Falsche Entscheidung
  10. Weichspülgang
  11. Blut, Tod & Tränen
  12. Nichts gelernt
  13. Es ist jetzt vorbei
  14. Opa war Briefträger bei der Post

Links:

www.dritte-wahl.de
www.systemfehla.de
www.punkname.de

Das Interview mit SystemfehlA führten Schnute und Beule.

Isabelle Hannemann
Isabelle Hannemannhttp://www.isabellehannemann.net
Die missratene Hypotaktikerin wird als Redakteurin Schrägstrich Fotografin bei be subjective! geduldet, hat versucht sich als freie Autorin und Herausgeberin verschiedener Artikel und Bände im Bereich der kritischen Sozialwissenschaft für Suchmaschinen selbst zu optimieren und will – wenn sie groß ist – mal sehen. Künstlerisch als Autorin und Fotografin mit diversen Bands und AutorInnen zusammenarbeitend, Texte zu Papier, Gehör und auf die Bühne bringend. Na dann Prost Mahlzeit!

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