Wenn knapp 6000 Menschen mit Sonnencreme und Regenponchos, mit Flip-Flops und Gummistiefeln und mit den richtig regenfesten Zelten nach Dangast pilgern, dann kann das nur eines heißen: Es ist wieder Watt En Schlick Fest. Das Festival direkt auf dem Kurhausstrand hat sich seit über 10 Jahren in der Region etabliert und wer Tickets ergattern konnte, kann sich eigentlich glücklich schätzen.

2025 gibt es allerdings kurz vor Festivalbeginn auffallend viele Ticketangebote bei Kleinanzeigen und Co. zum Schnäppchenpreis. Vielleicht waren die Early-Bird-Käufer*innen abgeschreckt von der Wettervorhersage, oder vom gemütsspaltenden Line-Up. In Dangast wurde sich auch in den vergangenen Jahren nie auf einen Stil festgelegt. Es wurde beim Booking immer etwas gewagt, etwas provoziert und vielleicht auch ein bisschen gepokert – und alle Besucher*innen immer glücklich machen, das ist unmöglich – aber 2025 war eben doch ein bisschen anders. Es dominierte der Rap, es fehlten vor allem auf den Hauptbühnen die richtigen Highlights – dennoch war es wieder ein Festival der Herzlichkeit, des friedlichen Beisammenseins und des…Rhabarberkuchens.
Der Festivalfreitag

Ein bisschen verspätet, das ist nicht neu, geht es los. Eine lange Schlange bildet sich vor der Einlassschleuse, die gerade noch aufgebaut wird. Auf dem Strand werden letzte Vorbereitungen getroffen, Jever-Fässer beschwerlich zu den Bierwägen gekarrt, hier und da erklingt noch ein Soundcheck von einer der vier verschiedenen Bühnen – bis sich dann endlich die Schleusen öffnen und Festivalmacher Till Krägeloh mit seiner obligatorischen Dankesrede das Watt En Schlick 2025 eröffnet. Es braucht eine Menge engagierter Menschen, um so ein Event auf die Beine zu stellen, das betont er Jahr für Jahr. Und das Liebe und Sorgfalt in jedem Detail steckt, das merken auch die Gäste. Die helfenden Hände erhalten warmen Applaus und dann geht es endlich los mit Musik. Dov’è Liana, gehüllt in seidene Kopftücher nehmen Platz hinter ihren Synthesizern. Die drei Franzosen sorgen zum Auftakt für einen tanzbaren, sommerlichen Sound. Passend, noch scheint ja auch die Sonne.

Es folgt die zweite inoffizielle Festivaleröffnung von Dauergast und Palettenpapst Flowin Immo auf seiner liebevoll zusammengezimmerten Palettenbühne. Mit Freestyle und Publikumsbeteiligung begeistert er Jahr für Jahr die Stammgäste und die Musiker*innen die zeitgleich mit ihm spielen müssen, haben’s nicht leicht. Bei Benjamin Amaru im Zelt ist es trotzdem ganz OK besucht. Seichte Singer-Songwriter-Mucke mit Bandunterstützung – aber zum Festivalauftakt darf’s dann doch etwas energischer sein. Frischen Elan bringt Jacoténe mit auf die Hauptbühne. Die blutjunge australische Sängerin weiß mit Charme und ihrer wahnsinnigen Stimme das Publikum zu begeistern. Den einsetzenden heftigen Regen begrüßt sie mit offenen Armen und lässt sich ein Bad in der Menge im wahrsten Sinne des Wortes nicht nehmen.

„Das Watt En Schlick ist scheiße“,

dröhnt es derweil aus den Lautsprechern bei der Palette. Immer und immer wieder. Als man glaubt, dass sich dort keine Musiker mehr blicken lassen, kommen dann doch die bestrumpften Augn auf die Bretter. Im Gepäck nur ein Mikro, ein dröhnender Bass und Schimpfwörter, die anderen die Strümpfe aufziehen. Nach und nach zerren Eltern die Kids aus der ersten Reihe. Morgen gibt’s wohl viel zu erklären, zum Beispiel was genau Lady Di mit ihren Schamlippen gemacht hat. Es ist Kunst ganz nah an der Kotzgrenze der Geschmacklosigkeit, aber irgendwie auch catchy.


Tiefes Cleansing für die Ohren gibt’s im Anschluss auf der Main Stage bei Uche Yara. Sie war schon einmal in Dangast, damals noch an der Gitarre bei Mavi Phoenix. Watt En Schlick und die österreichischen Musiker*innen, das ist eine stabile Verbindung und das ganz zurecht. Yara fesselt die Zuhörenden ganz ohne Provokation mit purem Talent. Ein frischer, abwechslungsreicher Sound zwischen modernem Rock und R’n’b macht sich gut am Strand. Auf der Palette meldet sich Sophia Kennedy im Anschluss zurück beim Watt En Schlick. Man kennt sie. Man mag sie und ihre anspruchsvolle Popmusik. Kein Grund die anderen Bühnen zu erkunden.
Secret Act

Lange war nicht klar, wer am Freitag um 20 Uhr die Hauptbühne übernehmen würde. Mit Ritter Lean haben vermutlich nur wenige gerechnet. Grundsätzlich ein guter Typ mit leichtem, klischeefreiem Rap, aber in Dangast kann er dann doch nur die jüngeren Leute so richtig abholen. Es sich direkt am Anfang mit den „alten weißen Männern“ zu verscherzen, war vielleicht nicht der beste Move. Das Memo, dass in der Regel in Dangast nur korrekte Leute am Start sind, hat er wohl nicht bekommen. Seine Musik ist nett. TikTok-tauglich, hier und da ein Ohrwurm – aber auf der Main Stage um diese Uhrzeit hätte es doch etwas mehr Substanz haben dürfen.

Punk für die „alten weißen Männer“ und alle anderen gibt’s dann von den Goldenen Zitronen im Zelt. Auch sie sind gern gesehene Gäste am Strand. Leider ist der Sound im Zelt in diesem Jahr die meiste Zeit wirklich schlecht, sodass viele die Zitronen nach ein paar Songs verlassen, um zu schauen, was sonst noch los ist. Auf der Palette zum Beispiel. Haiyti, selbst die schon einmal das Programm auf der Hauptbühne beendete, hat sich die pinke Perücke aufgeschnallt und bringt nun die Palette zum Beben.

Und dann kommt mit Zaho de Sagazan der Star des Abends auf die große Bühne. Französisches Chanson mit frischen, elektronischen Elementen. Ein absolutes Gesangstalent und eine wirklich warmherzige, nahbare Performerin. Kein Wunder, dass sie in ihrer Heimat so gefeiert wird. In Deutschland breitet sich ihre Bekanntheit langsam in erlesenen Kreisen aus. Es ist eine mutige Entscheidung, die als Headlinerin aufzustellen – während es an der Qualität der Musik absolut nichts zu zweifeln gibt, hätte zum Abschluss des Abends jedoch auch ein Act gut getan, der alle noch einmal so richtig abholt. Denn der Freitag war anstrengend. Regen, Sonne, Regen, das zehrt – weshalb wir uns auch schweren Herzens entschließen Shantel ausfallen zu lassen und uns für den zweiten Festivaltag zu stärken.
Samstag

Der Samstag beginnt grau. Wir verstecken uns bei Grenzkontrolle im trockenen Zelt. Der Sound noch immer ruppig. Die recht neue Gruppe hat sich in schicke Anzüge geschmissen. Der gute alte NDW-Sound feiert sein Comeback par excellence. Politisch. Direkt. Kein SchnickSchnack, nur verschmierter Lippenstift und eine gute Portion Wut.

Bisschen retro geht’s auf der Hauptbühne weiter. CVC wollen 70’s Rock, Disco und Sonne. Zumindest die ersten beiden Sachen bringen sie selbst mit. Es ist ein entspannter Sound für entspannte Strandatmosphäre – aber so richtig voll wird’s vor der Bühne noch nicht. Ist vielleicht auf dem heftigen Regen geschuldet, der irgendwann einsetzt. Viele flüchten ins Trockene. Tragisch, denn so riskieren sie eines der Festivalhighlights zu verpassen: Boko Yout bringen dreckigen Gitarrensound auf die Palette. Laut, polternd, politische und gesellschaftliche Missstände anprangernd. Das reißt mit der Menge vor Ort richtig mit und zeigt das gute Näschen im Booking, denn die Gruppe aus Schweden um Paul Adamah zählt zu den ganz vielversprechenden Newcomern in der Post-Punk-Szene. Einer der es in den letzten Jahren schon geschafft hat ist Indie-Liebling Betterov. Vor ein paar Jahren noch auf dem Floß, nun auf der Hauptbühne. Ein selbstsicherer Auftritt im strömenden Regen mit alten Hits und neuem, noch immer äußerst melancholischem Material – funktioniert bei Sonne und Regen.


Um das Niveau etwas zu senken, wurden PA69 engagiert. Mit Kippen, Sektchen und eigener Sonne gibt’s Atzenrap aus dem Bilderbuch – allerdings ohne diese ganze frauenverachtende Scheiße und mit viel Ironie. Das kann schonmal gefeiert werden.
Und dann verschiebt sich einiges im straffen Zeitplan des WES, was leider zu erheblichen Überschneidungen im restlichen Programm führen soll. Arc Du Soleil stecken fest auf der Autobahn und können erst eine Stunde später als geplant spielen. Gleichzeitig mit dem Programm auf den kleinen Bühnen. Friedberg im Zelt und Neeve auf der Palette schaffen es trotzdem, eine gute Portion Publikum für sich zu gewinnen und es sei ihnen vergönnt, denn beide machen saubere, moderne Rockmusik, die bestens zum WES passt.


Und so geht es nach kurzem Leerlauf weiter. Frank Moody übernimmt die Main Stage während Hot Wax, futurebae und Wallners um die Gunst der Menge buhlen müssen. Hot Wax bringen das Zelt enorm ins schwitzen. Dreckiger Grunge, eine top Performance und eine ganze Menge Attitüde machen sie zum zweiten großen Highlight des Samstags. Aber auch bei futurebae steigt eine Party. Dort gibt’s nicht nur ein Ständchen für die Mutti der Sängerin, sondern auch noch einen kleinen Gastauftritt von Tropikel Ltd. und vor allem gute Laune.
Für viele ein guter Abschluss und ein Zeichen ins trockene Zelt zu gehen, denn bis zum Samstagsheadliner gibt’s nun noch 45 Minuten Leerlauf – eine lange Zeit, wenn man bereits den ganzen Tag im Regen stand. Der Slot ist von Makko belegt, der das Publikum sowieso spaltet. Deutschrap für die jungen Hüpfer holt nun mal nicht alle in Dangast ab – zumindest nicht in dieser Dichte.

Sonntag


Da ist sie, die Sonne. Pünktlich zur legendären Schlickrutschen-Weltmeisterschaft und zum ersten Act des Tages. Bummelkasten – der Kinderlieder irgendwie lieber für die Eltern schreibt, zieht selbst die gemütlichsten, kinderlosen Festivalgäste an den Strand. Ein schön schräger, laune-hebender Einstand für den letzten Festivaltag. Um auch die allerletzten Langschläfer auf’s Gelände zu locken, wurden Juse Ju und Fatoni, ihres Zeichens Dauergäste in Dangast, um 13 Uhr ins Zelt gesteckt. Dieses platzt aus allen Nähten. Der Sound nach wie vor mäßig, die Stimmung indes überwältigend. Da hat’s Dissy auf der Palette schwer. Stimmungstechnisch kann auch Madeline Juno auf der Hauptbühne nicht mit dem zuvor gebotenen mithalten. Man kennt sie mittlerweile nicht nur in Indie-Pop Kreisen sondern auch aus der TV-Show Sing meinen Song, doch für ein gemischtes Festivalpublikum sind die seichten Popsongs leider nur schwer geeignet – Zeit für Rhabarberkuchen. Es folgt Rap: von der routinierten Ebow auf dem Floß und Hanna Noir auf der Palette. Glitzerhäkelsturmhaube trifft Chaya im Schlabbershirt. Ebow war schon des öfteren beim WES und hat sich einen festen Platz im Herzen der Gäste erspielt – wann Hauptbühne?


Dort schlägt als nächstes Apsilon auf, ein weiterer Secret Act, der für viele unterwältigend war. Auch er ein korrekter Typ, auf der richtigen Seite der Politik. Solider Rap – aber eben auch ein weiterer Rap-Act, der die diesbezüglich gesättigten Gäste erst einmal überzeugen muss – ähnlich wie die recht spät angekündigte Wa22ermann auf der Palette im Anschluss. Mit Zimmer90 wird es nochmal funky, ein ähnlich entspannter Strand-Sommer-Sound wie wir ihn schon bei CVC oder Dov’è Liana hatten. Qualitativ wirklich hochwertig, aber dann doch eher für die Nebenherbeschallung als zum aktiven Tanzen geeignet. Lovehead kämpfen im Anschluss mit technischen Problemen. Der Soundcheck dauert, Band konnte nicht mit eigenem Equipment anreisen. Nun sollte es zur Aufgabe der Künstler*innen gehören, die Unsicherheiten und den Unmut diesbezüglich zu überspielen, doch das gelingt Lovehead, die vor allem über ihren TikTok-Hit Erdnussallergie bekannt wurden, leider nicht und trübt doch ein wenig die Stimmung des eigentlich ganz guten Auftritts. Zeit für eine Kaffee-Stärkung.
Die letzte Pause vor dem großen Finale, denn jetzt fährt das Watt En Schlick noch einmal richtig auf.

Team Scheisse, die bremer Helden des Lo-Fi-Punk nehmen die Hauptbühne ein. Auch sie kennt man in Dangast. Endlich kommt ein bisschen Bewegung ins Publikum. Es gibt erste Moshpits. Nette. Rücksichtsvolle. Darauf besteht die Band. Das Publikum rückt zusammen, singt mit, tanzt und strahlt von Ohr zu Ohr. So hätte man sich das öfter auf der Hauptbühne gewünscht. Dieses Gemeinschaftsgefühl hat 2025 doch irgendwie gefehlt. Bis jetzt.
Das große Debakel

Und dann ein Faux-Pas sondergleichen. Flowin Immo und Die höchste Eisenbahn spielen zur gleichen Zeit. Dabei ist Francesco Wilking doch so ein gern gesehener Gast bei der Allstar Session. Immerhin hat die Band, wenn sie auch keinen Meerblick genießen darf, den Sound im Zelt endlich im Griff und kann sogar mit einer handvoll neuer Songs begeistern.
Immo macht indes, was er am besten kann: improvisieren. Die Gastmusiker stehen Schlange, doch am Mikro bleibt er an diesem Abend allein. Es geht wie immer um das Watt En Schlick, um die Liebe und das schöne Gefühl der Gemeinsamkeit am Strand. Das kommt gut an, vor der Palette ist es so voll, wie sonst das ganze Wochenende nicht. Ein kleines Finale der Herzen vor dem ganz, ganz großen Knall.


Die Donots haben sich angeblich selbst eingeladen. Das wurde auf jeden Fall Zeit. Die Band hat ja gefühlt schon jedes Festival der Republik zum Beben gebracht. Und ganz egal ob man die Musik der Band aus Ibbenbühren mag oder nicht: sie kriegen jede*n um den kleinen Finger gewickelt, da stört es auch niemanden, dass es von oben noch einmal so richtig, richtig eklig nass wird. Ingo weiß zu motivieren und sich in die Gunst der Menge zu quasseln – und jedes warme Wort über die Besonderheit des WES kauft man ihm ab und die Nostalgie setzt ein. Auch, wenn das Line-Up in diesem Jahr nicht für jede*n war, wird spätestens bei den letzten chorgleichen Tönen von So long klar: das war das Watt En Schlick 2025, allein hierfür hat es sich gelohnt. Allein für so einen Moment kommen wir im nächsten Jahr wieder.

Die Tickets für 2026 waren bereits nach wenigen Minuten ausverkauft.
Galerien (by Thea Drexhage bs! 2025)
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