Review: Reeperbahn Festival 2025 (17. – 20.09.2025, Hamburg)

Tag 1 – Mittwoch

Der erste Tag des Festivals war zugleich auch der Tag mit den meisten Acts auf meiner Liste. Zwischen Bubblegum Pop, grungigem Pop Punk, Indie Rock und dem Überraschungs-Act Nina Chuba bot der Mittwoch vor allem eins: Vielseitigkeit.

Sofie Royer (Foto: Franz Naumann bs! 2025)
Lisl (Foto: Franz Naumann bs! 2025)

Sofie Royer: So geht zeitgemäßer Pop
Als eine der ersten Acts des Festivals hatte Sofie Royer eine große Aufgabe: das diesjährige Reeperbahn Festival effektvoll und nachhaltig einzuläuten. Genau das schaffte sie mühelos mit ihrem zeitgemäßen Pop. Ihre Songs bewegten sich zwischen Deutsch, Englisch und Französisch und erinnerten mich an eine spannende Mischung aus Cate Le Bon und St. Vincent.

Lisl: Auf das Beste reduziert
Dass es nicht immer eine große Produktion für gute Songs braucht, zeigte kurz danach Lisl bei ihrem Set auf der Spielbude XL. Ehrlichkeit und Verletzlichkeit trafen in ihren Liedern auf Einfachheit und eine Gedankenwelt, die stark an die 2000er Jahre und die Musik von Liz Phair erinnerte. Unglaublich, dass Lisl bisher noch so ein gut gehütetes Geheimnis in Deutschland ist.

BEAKS: Ja ist das etwa…?
BEAKS ist das Musikprojekt von Anna Francesca, die schon seit vielen Jahren eigene Poems schreibt und nun auch ihren Weg in die Musik gefunden hat. Stimmlich erinnerte mich BEAKS an eine der spannendsten Künstlerinnen im aktuellen Punk-Pop-Bereich: ANIKA. Sowohl in der Produktion als auch im Songwriting waren die Parallelen nicht zu überhören.

Beaks (Foto: Franz Naumann bs! 2025)

Nina Chuba: Da war jemand in Rage
Als Überraschungsact stand Nina Chuba nicht im offiziellen Lineup des Festivals. Umso größer war dann die Überraschung, als kurzfristig ihr Auftritt bekanntgegeben wurde. Ihre Musik hatte ich bisher kaum verfolgt, aber RAGE GIRL funktionierte live sofort. Das Publikum drängte sich bis weit hinter das Festival Village, weil jede Person ein Stück von diesem Konzert sehen wollte.

Alessi Rose (Foto: Franz Naumann bs! 2025)

Alessi Rose: Fanliebe = 100 Prozent
Wer in diesem Jahr noch nichts von Alessi Rose gehört hat, lebt entweder unter einem Stein oder macht bewusst einen Bogen um gut gemachte Popmusik. Ich hatte sie schon einige Tage vorher in Berlin live gesehen und war beeindruckt davon, wie perfekt ihr Gesang klingt und wie nahbar und liebevoll sie ihren Fans gegenüber ist. Auch beim Reeperbahn Festival wurde sofort klar, wie viel Spaß sie auf der Bühne hat und dass sie genau dorthin gehört. Dua Lipa lässt schließlich nicht jede Sängerin ihre Shows eröffnen.

Overpass (Foto: Franz Naumann bs! 2025)

Overpass: Spontan ist manchmal doch am besten
Overpass hatte ich gar nicht auf meiner Agenda, fand mich aber plötzlich mitten im Konzert der Band aus Birmingham wieder. Die Band spielt mit der Nostalgie der 2000er Jahre. Das ist zwar kein neues Konzept, aber für mich funktioniert es jedes Mal. Ausbrechende Rockgitarren und große verträumte Refrains sind Dinge, die mich einfach immer abholen. Leider konnte ich mir nicht das gesamte Set ansehen, freue mich aber darauf, in Zukunft mehr von der Band zu hören.

Ellie Dixon (Foto: Franz Naumann bs! 2025)

Ellie Dixon: Endlich live gesehen
Wir haben alle mindestens einen Act, den wir schon ewig auf unserer Liste haben, aber nie live sehen konnten. Bei mir war das Ellie Dixon. Umso größer war meine Freude, dass sie für mich den ersten Tag des Festivals beendete. Ellie Dixon ist nicht nur eine talentierte Musikerin, sie produziert ihre Songs auch selbst und erzählte dies stolz während ihres Sets. Wer Orla Gartland mag, sollte sich unbedingt einmal durch Ellies Diskografie hören, bevor sie noch bekannter wird.

Tag 2 – Donnerstag

Jamila (Foto: Franz Naumann bs! 2025)
TTSSFU (Foto: Franz Naumann bs! 2025)

Jamila: Pop trifft auf facettenreiche Stimmpräsenz
Als Newcomerin mit schweizerisch-palästinensischen Wurzeln war es für Jamila lange unvorstellbar, dass ihre Songs einmal über die eigenen vier Wände hinausgehen würden. Live auf der Bühne war es dann umso beeindruckender. Musikalisch kam einem sofort Olivia Rodrigo in den Sinn. Ihr Set in der Prinzenbar war emotional und träumerisch zugleich.

TTSSFU: Die perfekte Musik für späte Nächte und neblige Tage
Wer GarageBand als Tool für die eigene Musik nutzt, hat bei mir automatisch einen besonderen Platz im Herzen. Genau diese Einfachheit gibt dem Soloprojekt von Tasmin Nicole Stephens aus Manchester eine ganz eigene Energie. TTSSFU ist ein DIY Meisterwerk, das in der Nostalgie von The Cure und The Strokes badet und gleichzeitig die Träumerei von Sonic Youth und My Bloody Valentine aufgreift. Ein großartiges Set, das ich mir gern noch etwas länger angesehen hätte.

Dry Cleaning (Foto: Franz Naumann bs! 2025)

Dry Cleaning: Endlich live gesehen, mit Abzügen in der B-Note
Dry Cleaning gehörte zu den Bands, die ich schon ewig auf meiner Liste hatte. Die beiden ersten Alben der Band beeindruckten mich durch die Freude am Experimentieren, die Stimme und die komplexen Gitarrenriffs. Beim Reeperbahn Festival war leider die Abmischung ein großes Problem. Die Vocals waren so leise, dass es immer wieder Zwischenrufe wie „More vocals“ oder „We can’t hear you“ gab. Das ließ sich im engen Festivalplan nicht beheben. Schade, aber trotz allem war es ein spannendes Set und ein schönes Ende für den zweiten Tag.

Tag 3 – Freitag

Hachiku (Foto: Franz Naumann bs! 2025)

Hachiku: Indie Art-Pop auf das Wesentliche heruntergebrochen
Einige Jahre ist es her, dass ich Hachiku als Support von Courtney Barnett gesehen habe. Schon damals war ich begeistert von ihrer Musik. Hachiku ist der Beweis, dass es nicht immer große Beats braucht, um aussagekräftige Songs zu schreiben, die zum Verweilen einladen. Anika Ostendorf liebt es zu experimentieren und das zeigt sich auch im neuen Album The Joys Of Being Pure At Heart. Live bekam die Musik in der intimen Atmosphäre der Top10 Bar eine ganz eigene Dynamik.

Twin Tribes (Foto: Franz Naumann bs! 2025)

Twin Tribes: Ein Rezept, das immer wieder funktioniert
Wenn die Frage nach dem Festival Highlight kommt, dann ist meine Antwort in diesem Jahr ganz klar: Twin Tribes. Die Band aus den USA wird inzwischen auch in Europa immer größer und spielt vor ausverkauften Venues. Wave und Synthesizer in einer kühlen, düsteren Produktion, die zum Träumen einlädt, sind ein einfaches Rezept, das perfekt funktioniert. Egal wie dunkel die Bühne war, das Publikum hatte die Augen sowieso geschlossen, tanzte und träumte, während das Uebel und Gefährlich in dichten Nebelschwaden lag. Es war deprimierend, es war düster – ja, es war einfach wunderschön.

Tag 4 – Samstag

LIN (Foto: Franz Naumann bs! 2025)

LIN: Eine bunte Mischung
LIN nahm ich zuerst nur nebenbei wahr, entschied mich dann aber dazu, ihr Set komplett anzusehen. Eine gute Entscheidung. Deutscher Musik stehe ich oft skeptisch gegenüber, aber LIN überzeugte mich mit einer Mischung aus Electro, Indietronica und Pop, die vielseitiger kaum sein könnte. Sie spielt ihre Instrumente alle selbst ein und behält so den vollen Überblick über die Richtung ihrer Musik. Ob Party, gute Laune oder ernste politische Themen; in ihrem Set fand alles seinen Platz und fügte sich zu einer stimmigen Ein-Frau-Band zusammen. Das zeigte sich auch im Publikum. Die Spielbude XL war so voll, dass die Leute bis auf die Seiten ausweichen mussten, um das Konzert zu sehen.

Pem (Foto: Franz Naumann bs! 2025)

PEM: Ganz ruhig und in sich gekehrt
Nach LIN ging es für mich direkt zu PEM in die St.-Pauli-Kirche. Ihre heisere Stimme erinnerte an Duffy und die Schlichtheit ihrer Songs an A Fine Frenzy oder Laura Marling. Die Ruhe in der Kirche war beeindruckend, weil alle in der Melancholie von PEMs Musik versinken wollten. Auch ich vergaß völlig die Zeit und verpasste dadurch meinen nächsten Act. Vielleicht wollte ich aber auch einfach nicht früher gehen, weil es zu schön war.

Blondshell (Foto: Franz Naumann bs! 2025)

Blondshell: Wenn Acts alles haben, was dir gefällt und es trotzdem nicht klickt
Manchmal passt einfach nicht alles zusammen, so war es leider auch bei Blondshell. Eigentlich bringt sie alles mit, was mir gefallen müsste, aber live sprang der Funke nicht über. Vielleicht war ich nach vier Festivaltagen auch einfach zu müde. Ich werde mir aber auf jeden Fall nochmal Zeit nehmen, ihr Album If You Asked For A Picture genauer anzuhören. Gerade die Indie-Rock-Einflüsse und der scharfsinnige Humor in ihren Texten müssten eigentlich genau mein Ding sein. An dem Abend klappte es leider erstmal nicht für mich.

Fans bei Alessi Rose (Foto: Franz Naumann bs! 2025)

Fazit:
Das Reeperbahn Festival bot auch in diesem Jahr wieder eine Bühne für Acts, die man sonst vielleicht erst sehr viel später entdeckt hätte. Meine größten Highlights waren Twin Tribes, BEAKS, PEM und TTSSFU. Durch Überschneidungen und lange Wege zwischen den Venues konnte ich nicht alles sehen, was ich mir vorgenommen hatte, aber das gehört zum Reeperbahn Festival ja sowieso irgendwie dazu. Für mich bleibt es das beste Festival in Deutschland, wenn man neue Musik entdecken möchte und für vier Tage in ein Paralleluniversum eintauchen will. Nächstes Jahr gern wieder!

Galerien (by Franz Naumann bs! 2025):

Links:
https://www.reeperbahnfestival.com/

Franz Naumann
Franz Naumannhttp://www.be-subjective.de
Franz wird auch oft einfach Dino(junge) genannt, denn wenn er einmal anfängt, von Dinos zu erzählen, hört er so schnell nicht mehr auf. Passend zu seiner Liebe für MySpace & Tumblr, könnte man meinen, dass Franz in der Zeit stehen geblieben ist, aber vielleicht ist es auch einfach eine grosse Portion Nostalgie. Er liebt analoge Fotografie & kennt Pop-kulturelle Momente & die Indie-Szene so gut, wie die Welt der Dinos. Schwarz ist die einzige Farbe, die er trägt, weil „alles Andere in Berlin einfach gefährlich ist“. Und wenn er nicht gerade mit seiner Fuji vom Fotograben aus fotografiert, gibt er viel zu viel Geld für Schallplatten aus.

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