Review: Eine Bereicherung für die Subkultur – Fair Weather Fest (2025)

Zwei Tage, sieben Venues, Punk, (Post)Hardcore, Emo und das im Herzen Bremens. Das Fair Weather Fest startete am 6. Und 7. Juni in seine erste Ausgabe, veranstaltet von Menschen, die selbst einfach Bock auf mehr Subkultur haben. Das Konzept ist denkbar einfach: Alle Bands, bis auf die letzte des Abends, bekommen eine halbe Stunde Spielzeit – in der Regel alternierend zwischen zwei Clubs. So soll das Line-Up möglichst hierarchiearm aufgestellt werden. Am Freitag wird gewechselt zwischen dem Kulturzentrum Lagerhaus und dem deutlich muckeligeren Calavera und am Samstag geben sich Lagerhaus und Lila Eule die Klinkekabel in die Hand. 400 Besucher*innen hatten Bock und haben das Festivaldebüt direkt ausverkauft.

Forever Unclean (Foto: Thea Drexhage bs! 2025)

Freitag

Empty Bones (Foto: Thea Drexhage bs! 2025)

Der Festivalfreitag startet unkonventionell im Skateshop Titus, wo es sich Empty Bones in Krankenhauskitteln vorm Schuhregal bequem machen. Und das passt da auch wie Arsch auf Eimer rein. Kantiger Surfpunk leutet das Fair Weather Fest ein, bevor es kurz darauf im Lagerhaus mit Baby Of The Bunch so richtig offiziell losgeht. Etwas poppiger als das restliche Line-Up, aber nicht minder gut füllt das Berliner Trio das Lagerhaus schon ganz ordentlich. Ab jetzt beginnt allerdings auch das Hetzen, denn der Time-Table ist ohne Pausen strikt durchgetaktet. Wer nichts verpassen möchte, muss also Abstriche machen. Es lohnt sich auf jeden Fall, überall vorbeizuschauen, auch wenn die Bands vielleicht nicht bekannt sind. So entdeckt man absolute Perlen wie Fume Tea Heather, die direkt im Anschluss im Calavera spielen. Träumerischer, vielschichtiger Emo aus Leipzig, der direkt zurück in die Anfänge der 2000er Jahre befördert.

Fume Tea Heather (Foto: Thea Drexhage bs! 2025)

Does Smoking Weed And Watching Movies Count as a Hobby?

The Pill (Foto: Thea Drexhage bs! 2025)
Between Bodies (Foto: Thea Drexhage bs! 2025)

Warum nicht? Um den Start von den unter Gästen hoch angepriesenen The Pill rechtzeitig zu erwischen, muss man leider auch hier früher abbrechen. Zurück im Lagerhaus wird man erwartet von einer Wand aus Krach. Guter Krach. Hardcore Punk made in Frankfurt, den man klanglich aber auch über den großen Teich verorten könnte. Bei Yeahrs im Calavera wird es wieder etwas ruhiger. Rauer Shoegaze, der perfekt in diesen kleinen, dunklen Laden passt. Startet aufgrund kleiner technischer Schwierigkeiten einpaar Minuten später, was leider nur ein kurzes Zuhören ermöglicht, denn nebenan übernehmen schon kurze Zeit später Betweeen Bodies, die für einige ein Highlight darstellen dürften, glaubt man den Mitsingchören bei On A Grave trauen darf. Hervorragender Auftritt.

Wax Minds (Foto: Thea Drexhage bs! 2025)

Das Fair Weather Fest sollte ein Event sein, dass neben der Musik auch dazu einlädt im Viertel zu verweilen, ein Rollo bei Tandour zu essen oder ein Bierchen im Eisen zu schlürfen – doch damit dies so wirklcih und ohne schlechtes Gewissen klappt, wären auch ein paar Lücken im Time-Table nötig gewesen. So verpasen wir Glower und setzen erst bei Giver im Lagerhaus wieder ein.  Trockener Hardcore bestens performt. Etwas schräger wird’s im Eisen. Und voll. So voll. Die Wax Minds um Sängerin Claude Cool gehören fest in die Bremer Szene und lassen die kleine Eckkneipe aus allen nähten platzen. „Four weirdos banging out raw, fuzz-soaked eggy Garage Punk tunes that’ll make your brain melt and your heart race.“, beschreiben sie sich selbst auf Bandcamp und dem ist nichts hinzuzufügen. So richtig kann sich die Hirnmatsche dann auch bei den Brachial-Punx von Rauchen nicht wieder festigen. Aber das wäre mit Sicherheit auch nicht nach Wunsch der Hamburger*innen. Bei Swan Songs im Calavera kehrt indes wieder etwas Ruhe ein. Ein kurzes Durchatmen vor dem großen Finale des ersten Tages. Es scheint, als würden alle Emo-Bands Klischeehaft zum Spielen in den Keller geschickt werden. Dort ist es dunkel. Dort fühlt man sich wohl.

Swan Songs (Foto: Thea Drexhage bs! 2025)

Noch einmal alles anzünden

SmileAndBurn (Foto: Thea Drexhage bs! 2025)

Noch einmal zurück ans Licht. Noch einmal die Treppen hoch zum Lagerhaus. Smile And Burn. Hier weiß man was man bekommt. Hier wird noch einmal die letzte Energie des Abends entladen. Das Lagerhaus ist voll. Die Stimmung bestens. Die Band sowieso. Und dann war er das schon, der erste Tag. Prallvoll mit tollen Bands und Eindrücken. So viel in so kurzer Zeit, dass die geschmolzenen Hirne auch eine gute Portion Schlaf brauchen, um das alles zu verarbeiten – aber erst nach einem kurzen Abstecher zur Aftershow-Party im Calavera versteht sich.

Samstag

The Deadnotes (Foto: Thea Drexhage bs! 2025)
Travels & Trunks (Foto: Thea Drexhage bs! 2025)

Als Gast hat man Zeit zum Ausschlafen, denn die Shows am zweiten Tag starten erst um 16 Uhr. Das ist Endverbraucherservice vom Feinsten. Wer sich am vorherigen Tag nicht eh schon die Tüten bei Black Plastic mit frischem Vinyl vollgestopft hat, hat heute erst recht einen Grund vorbeizuschauen. The Deadnotes starten den zweiten Festivaltag mit einem Akustik-Set. Im Laden wird’s sehr schnell sehr voll und gut warm. Zum Glück stehen ein paar Kisten mit kühlen Getränken für einen schmalen Taler bereit. Sonst würde man vermutlich beim zweiten Act Travels And Trunks nur noch elendig nach frischer Luft schnappen. Dieser läutet sein Set ein, indem er kurz Turnstiles brandneue Nummer Never Enough anstimmt. Es wird also wirklich ein Turnstile-Summer, selbst in Norddeutschland.

Wrong Man (Foto: Thea Drexhage bs! 2025)

In der Lila Eule werfen Mundane die Verstärker an. Indie-Rock aus Schweden – ganz was Neues könnte man meinen. Aber entgegen dem Trend, den viele ihrer Landsleute nachlaufen, haben sich Mundane ein paar schöne Ecken und Kanten bewahrt. Das erste Mal so richtig wachgerüttelt wird man im Anschluss bei Ti:ED – sauberer Bremer Post-Hardcore, der sich stilistisch irgendwo zwischen Touché Amoré und La Dispute verorten lässt, mal ein bisschen härter, mal ein bisschen leiser. Durchaus gelungen. Kurze Zeit später übernehmen Wrong Man aus Belgien mit einem ganz ähnlichen Stil und liefern eine wirklich tolle und energiegeladene Show.

Treppe rauf, Treppe runter, Treppe rauf, Treppe runter

Flight Mode (Foto: Thea Drexhage bs! 2025)

Aber auch hier gilt es ewas früher abzubrechen und vom oberen Saal des Lagerhauses in den Keller der Lila Eule zu steigen. Ein Festival mit inbegriffenem Cardio-Training – hier wird noch an die Gäste gedacht. Nach den Schweden übernehmen in der Eule die Norweger von Flight Mode. Auch wieder ein bisschen emotional und deutlich poppiger als die vorangegangenen Acts machen sie die Eule gut voll. Hier kommen Fans von Death Cab For Cutie voll auf ihre Kosten.

Phantom Bay (Foto: Thea Drexhage bs! 2025)

Im Lagerhaus übernehmen im Anschluss die Chefs. Phantom Bay aus Bremen füllen den Laden bis in die letzten Ecken. Sind ja auch längst keine Unbekannten mehr. Zudem sind Yannic und Laurin zwei der Köpfe hinter dem Fair Weather Fest. Ein guter Moment um einmal danke zu sagen, wie es auch viele Bands an diesem Wochenende tun. Irgendwie sind sie fast alle eng mit Phantom Bay verbandelt, teilen eine gemeinsame Bandgeschichte oder sind sich irgendwo on the road begegnet. Die Begeisterung für dieses DIY-Event ist gerade am Samstag überall zu spüren. Sicherlich beflügelt von diesem Feedback, lässt auch die Show von Phantom Bay keine Wünsche offen – außer vielleicht eine kleine Verschnaufpause. Doch es geht direkt weiter zu Emperor X, vielleicht dem Highlight des Samstags. Der amerikanische Singer-/Songwriter, der mittlerweile im tiefsten Brandenburg lebt, hat viel zu sagen – in und zwischen seinen Songs. Schwarzer, vielleicht auch resignierender Humor trifft Politik – und Gesellschaftskritik auf eine Art, der man sich kaum entziehen kann. Irre gut.

Emperor X (Foto: Thea Drexhage bs! 2025)
The Deadnotes (Foto: Thea Drexhage bs! 2025)

Nebenan dürfen die Deadnotes nun auch verstärkt spielen. Zu hören gibt’s unter anderem Nummern ihres jüngsten Albums Rock’n’Roll Saviour. Ein selbstbewusster, sicherlich ironisch gemeinter Titel, dem die Band aber doch alle Ehre macht. Es ist nicht leicht in Zeiten wie diesen den Rock’n’Roll zu retten, aber The Deadnotes geben ihr Bestes.
Schweden, Norwegen – für Finnland hat es nicht mehr gereicht in der Lila Eule, aber als Vertretung sind Forever Unclean aus Dänemark am Start mit lockerem Skate-Punk statt streng gestriegeltem Rock’n’Roll. Ein letztes Aufwärmen vor dem großen Festivalfinale mit Shoreline.

Die Münsteraner kennt und liebt man in Bremen, dementsprechend wird es gut eng im Lagerhaus. Shoreline sind mitreißend vom ersten Ton. Politisch, wütend aber gleichzeitig auch sehr dankbar für das Erlebte vor Ort. Auch sie verbindet vieles mit den Veranstaltenden und so schließt sich der Kreis. Das Fair Weather Fest Vol 1. geht unter tosendem Applaus zu Ende.

Shoreline (Foto: Thea Drexhage bs! 2025)

Abgesehen von dem wirklich knappen Time-Table gibt es nichts zu beanstanden. Das Fair Weather Fest punktet mit einem lockeren, offenen Konzept ohne Konsumzwang. Hier steht die Musik im Vordergrund und diese wurde ganz hervorragend ausgewählt. Dazu kommt ein wirklich entspanntes Publikum, ohne Schnapsleichen, grenzüberschreitende Typen oder gewaltsame Moshpits – gerade die Emokids von früher werden ja auch alle älter und ruhiger. So ist es kaum verwunderlich, dass Phantom Bay auf der Bühne auch direkt eine zweite Ausgabe für das kommende Jahr bekannt gegeben haben. Wir freuen uns!

Karten für das Fair Weather Fest 2026 (5. & 6. Juni) gibt’s hier.

Galerien (by Thea Drexhage bs! 2025)

Links:
Fair Weather Fest

Thea Drexhage
Thea Drexhagehttps://www.be-subjective.de
Thea Drexhage hat Salma Hayek einiges voraus! 10 mm. Wie die meisten Frauen der Redaktion, Duffy, Beth Ditto, Joan Rivers oder Angus Young kann sie die MusikerInnen aus dem Bühnengraben also völlig problemlos sehen, wenn jemand ihren Hocker trägt, wird aber - das hat sie mit Salma dann doch wieder gemein - dennoch viel zu oft auf Ihre Körpergröße, ihre Mähne und ihre leicht misanthropischen Anflüge reduziert. Damit sie also nicht im nächstbesten Titty Twister von Sonnenunter- bis Sonnenaufgang Menschenmengen und Bläser mätzelt, halten wir “Aggro-Thea”, die zuvor ganze Landstriche in Mecklenburg Vorpommern ausgerottet hat, halbtags im spießbürgerlichen Oldenburger Exil an der langen Leine. Seither legt sich die scheißpünktliche existentialistische Besserwisserin analog mit Sartre, Camus & Kodak an und ja, auch wir müssen neidlos zugestehen, dass der Instagram-Account ihrer beiden Katzen “Salma” und “Hayek” mehr Follower pro Tag hat, als unser webzine im ganzen Jahr.

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