Start Events Konzertberichte Review: Blood Sugar Sex Magic- Red Hot Fuckin’ Chili Peppers (17.11.2016, Hannover)

Review: Blood Sugar Sex Magic- Red Hot Fuckin’ Chili Peppers (17.11.2016, Hannover)

Die Red Hot Chili Peppers sind auf Tour und kommen nach Hannover – das ist schon den ganzen Sommer über Gesprächsthema von Fans aus mehreren Generationen. 33 Jahre Bandgeschichte, 80 Millionen verkaufte Platten und die meisten Nummer-eins-Hits überhaupt: Kaum eine andere Band hat so nachhaltig Erfolg in der Rockwelt und das zieht an. Über 10.000 BesucherInnen strömen in die TUI-Arena am Expo-Plaza um die Kalifornier live zu erleben.

Die Tour zum neuen Album “The Getaway” führt sie nach einem heißen Festivalsommer noch bis Ende Dezember durch Europa, bevor es wieder in nordamerikanische Gefilde geht. Seit fünf Jahren gab es kein Album und in der Zwischenzeit hat sich einiges getan. Seit ihnen 1990 die Producer-Legende Rick Rubin mit “Blood Sugar Sex Magic” zum wirklich großen Erfolg verholfen hat, ist dieses das erste Album mit neuem Produzenten. Das ist ein großer Schritt und Ausdruck davon, dass die Red Hot Chili Peppers nach ihrem letzten Album, das nichts besonderes geworden ist, aus langjährigen Gewohnheiten ausbrechen wollen.

Der neue Producer Brian Burton ist den meisten eher als Danger Mouse von den Broken Bells und Gnarls Barkley bekannt – ja, das sind die mit dem Tintenfleckohrwurm “Crazy”.

Red Hot Chili Peppers (Foto: Pressefreigabe, hfr.)

Von Vielen seit langem erwartet, schmeckt die Musik der neuen Scheibe zwar eindeutig nach Chili-Pfeffer, aber da sind neue Nuancen und Aromen, die auch live auffallen. Die Grundsubstanz aus Fleas groovigem Bass, Anthony Kiedis’ halb rappendem, halb melodischem Gesang zu funky Gitarren und anspruchsvollen Schlagzeugrhytmen bleibt unangetastet, aber insgesamt wirkt die Klangwelt gleichzeitig üppiger und harmonischer.

Deerhoof

Als Warm-Up sind Deerhoof dabei, die schon vor über 20 Jahren ihren kaleidoskopischen Mix in dem hochgelobten Land Kalifornien generierten. In gelb-orangenes Licht getaucht legt das ungleiche Quartett mit plärrendem Gitarrengeschrammel los. In starkem Kontrast dazu steht der melancholische Singsang der kleinen Satomi Matsuzaki mit der großen Bassgitarre, die kryptische Texte singt wie den von “Mirror Monster” singt:

What did we expect?
We are riders in the
We are riders in the cavalry
And will soon be
The victims of our imitators
What did we expect?

Kontraste machen diese Band aus. So switchen sie von geil hartem Rockbass zu einer Art verquerem Reggae-Beat, von Punk zu Stoner-Rock, begleitet von kindlich-unharmonischem Gesinge, abgelöst von dem hart rockigen Geschrei des headbangenden Gitarristen im extravaganten Indianeroutfit. Neben diesem, dem krassen leuchtenden Kleid der Sängerin und dem Beach Boy am Schlagzeug wirkt der zweite Gitarrist in simpler Jeans und T-Shirt fehl am Platz, gibt aber die anspruchsvolleren Gitarrenriffs zum Besten. Schrille Töne, tiefes Knarren, Tamburin, treibender Bass, Nintendo-Sounds, unrhythmische Hacker, plötzliche Aussetzer. Die melodischen Elemente liegen regelmäßig einen halben Ton neben der Erwartung. Dazu eine Choreographie, die an einen verspielt herumspringenden japanischen Roboter erinnert – und durch die hochkonzentrierten Gesichtsausdrücke noch absurder, irgendwie selbstironisch wirkt. Deerhoof sorgen für Kopfnicken, das Innovative begeistert. Insgesamt vielleicht etwas zu befremdlich für Hannover.

Dieser Minimalismus zeigt, dass es hier vor allem um die Musik geht.

Nach der Pause ist als einziges “Bühnenbild” ein Ausschnitt der kalifornischen Flagge auf dem Schlagzeug zu sehen: Ein Bärenkopf unter einem roten Red Hot Chili Peppers Zeichen, ersetzt den Stern. Dieser Minimalismus zeigt, dass es hier vor allem um die Musik geht. Unter ausgelassenem Jubel füllt der Bandjüngste Josh Klinghoffer die TUI Arena mit verträumt hallenden Gitarrenklängen aus, bei einem intimen Jam mit Michael “Flea” Balzay am Bass. Chad Smith heizt die Session mit Trommelwirbeln zu einer wilden Tanzparty an, bis Sänger Anthony Kiedis die Bühne zu einer Bassimprovisation betritt, die in einem der Intros mit dem größten Wiedererkennungswert überhaupt mündet: Die schnellen Bassläufe mit hellem Gitarrenschrummeln und wildem Aufschrei von “Around The World”. Auf einmal sind überall rote Lichter: Hinter der Bühne stehen riesige Bildschirme und von den Decken hängen hunderte Leuchtstäbe, die in allen möglichen Formationen strahlen und sich auf die Menge herabsenken.

Stimme: So lala. Stimmung: Yeah!

Es folgen zwei Mitsingsongs, die im Prinzip eins zu eins so klingen wie sie jede/r aus dem Radio kennt – nur mit schlechterem Gesang. Es werden nur hier und da etwas komplexere Elemente in Intros und Outros eingearbeitet, doch auch die Soli sind identisch. Zu “Dani California” sieht man erstes zaghaftes Pogen, Schubsen, Jumpen, das sich bei “Scar Tissue” schnell wieder beruhigt.

Close your eyes and I’ll kiss you ‚cause
With the birds I’ll share
With the birds I’ll share
This lonely view

Der erste neue Song ist “Dark Necessities” – Danger Mouse hat sich zu Recht durchgesetzt und es zur Lead Single gemacht, statt “The Getaway” oder “Go Robot”. Nach einem Intro, in dem sich wasserfallartige Pianoläufe und sanfte Gitarrenhaller auf einen schnellen Bassrhythmus zu einer Klanglandschaft aufbauen, durch die das Schlagzeug wie ein beschleunigender Zug fährt, schlägt der groovy Rhythmus ein. Die Gitarrenbegleitung der poppig gerappten Strophen ist ein lässiges Highlight der Funkigkeit. Die wie gewohnt teils abstrusen Lyrics feiern zwar die dunklen Seiten der Seele, die niemandem außer einem selbst zugänglich sind, taugen aber dennoch um eine Verbindung zum Publikum aufzubauen:

You don’t know my mind
You don’t know my kind
Dark necessities are part of my design
Do you want this love of mine?
The darkness helps to sort the shine
Do you want it, do you want it now?

Außerdem gibt es eine sehr geile instrumental Bridge und ein emotionales Outro, für das sie ordentlich Tempo rausnehmen. An dem Song zeigt sich besonders der Einfluss von Danger Mouse, der dem Funkrock eine ungewohnt sphärische Gitarre, dezente Synthie-Akkorde und rhytmisches Klatschen entgegensetzt.

Zum Kontrast machen die Peppers einen 30-Jahre Sprung – back to the roots – in Zeiten vor Rick Rubin. Das kratzig-funkige “Yertle the Turtle” erzählt eine Kinderbuchgeschichte der Fünfziger nach, in der ein aufgeblasener Schildkrötenmonarch durch einen Rülps vom Thron in den Dreck gestoßen wird. Sie spielen den Song zum ersten Mal seit über 15 Jahren, mit freundlichem Gruß an “Sir Heinrich of Hannover” – ist damit ein Fan gemeint? Oder doch eher unser lieber Prinz mit den fragwürdigen Gerichstprozessen? Der fließende Übergang zu “Freaky Styley” von dem gleichen, gleichnamigen Album von 1985 lässt letzteres vermuten. Das besteht textlich nämlich quasi nur aus einem Satz, der wohl an die gleiche Adresse geht wie das Königs-Kinderlied:

Fuck ‚em
Just to see that look on their face
Fuck ‚em just to see that look on their face

Diese Subversivität bleibt aber weitgehend unbemerkt, weil kaum jemand die Lieder oder das Buch kennt und die Texte schwer verständlich sind. Irgendwie haben die Fans in Hannover etwas anderes erwartet und können damit nicht besonders viel anfangen.

Auch bei “Look Around” lässt Kiedis Stimme zu wünschen übrig, was besonders ins Gewicht fällt, da der Song komplett auf ihr aufbaut. Er fängt sich manchmal, kommt aber immer wieder raus und landet einen Halbton daneben, leider besonders bei den melodischeren Parts, stimmlich ein Desaster, selbst beim Rap. So bleibt es dabei, dass er uns sagt, dass es emotional sei:

It’s emotional
And I told you so
But you had to know
So I told you

Josh Klinghoffer ist da bei seinem überzeugenden Solo Beatles-Cover “I’m So Tired” treffsicherer und sorgt für einiges Kreischen der weiblichen Fans. Ein Übergang in “We turn Red” bringt uns zurück zum neuen Album und man erkennt gewisse Kontinuitäten zu den 80er Songs…

– die Menge packt es ebensowenig.

Das gelingt jedoch mit einer ausdrucksvollen Jam-Session, die mit einem harmonischem Zusammenspiel von Flea und Klinghoffer beginnt, welche sich unter einem kleinen roten Viereck aus ‘herabtropfenden’ Stableuchten einander zugewandt einzig auf ihre Instrumente konzentrieren. Der Rhythmus wird immer schneller und das Publikum klatscht begeistert mit. Wenn auch vielleicht niemand wirklich den großen John Frusciante ersetzen kann, zeigt der von ihm empfohlene Josh Klinghoffer sein Talent und die Magie der Red Hot Chili Peppers ist wirklich zu spüren. Die Künstler nehmen die so bekannten Akkorde von “Californication”, wandeln sie mühelos ein ums andere Mal um und nehmen uns mit auf eine gefühlvolle Reise. Als der Hit von 1999 letztendlich beginnt, wirkt dies noch nach, bis der schräge Gesang von Kiedis wünschen lässt, mensch würde ihn auch dieses Mal im Radio hören und könnte umschalten. Dann würde man allerdings das Solo von Klinghoffer verpassen, das den Zauber des Intros wieder aufleben lässt.

“Go Robot”

Als die Bühne plötzlich weiter bevölkert wird, zeigt sich wieder der Einfluss von Danger Mouse: Das neue “Go Robot” lässt klanglich die frühen 80er á la Prince wieder aufleben und dafür brauchen die Red Hot Chili Peppers wohl das erste Mal in ihrer Geschichte Unterstützung durch einen zweiten Bass, sowie Synthesizer im Doppelpack für die volle Palette der neuen smoothen Sounds, inklusive Klatschen, digitaler Verzerrung des Gitarrenfunks und hell-weichem Synthieglitzer. Das Outro ist grandios und regt echt zum Tanzen an. Auch bei dem catchigen “Sick Love” zeigt sich der neue psychedelische Sound mit sauberen Piano-Parts, aber auch, dass sich die Chilis trotz poppigerem Gesamtbild ihre kratzige Essenz erhalten haben.

Rivers get connected
So much stronger than expected, well
Sick love comes to wash us away
Prisons of perspective
How your vision gets corrected and
Sick love is my modern cliché

So richtig in Bewegung und Schwitzen kommt das Publikum bei dem energiegeladenen “Suck My Kiss” von Blood Sugar Sex Magic, das die Truppe aus Los Angeles immer noch so wild wie mit Ende Zwanzig rockt:

Hit me you can’t hurt me
Suck my kiss!
Kiss me please pervert me
Stick with this!
Is she talking dirty?

Ein wirkliches Highlight ist die Ballade “Under the Bridge”, ganz klassisch und mit gutem Gesang. Die ganze Halle singt mit und fühlt sich durch den Isolations-Schmerz aus Kiedis Heroinsucht unter einer langsam wogenden blauen Lichterwelle vereint – ein erhebendes Gefühl.

Für diese Momente sind wir hier.

Zum Abschied rasten die Rocker nochmal zu “By the Way” richtig aus – der Hammer. Nachdem bei einem Großteil der Show irgendwie das richtige Gefühl gefehlt hat, tut das Doppelpack dieser Greatest Hits echt gut. Alles ist geil (wenn man bei dem Background Chorus weghört) – Smith, der auf die Drums einhämmert als gäbe es kein morgen mehr, Flea, der am Bass improvisiert, Kiedis, der endlich auf seine gesangliche Höhe gefunden hat. Die Energie der Band wie alle gemeinsam auf der Bühne im Kreis springen und mensch merkt, dass Klinghoffer jetzt wirklich ein Teil der Peppers geworden ist.

Alles ist geil

Diese Momente machen Lust auf mehr und nach einem Abgang mit Liebesbekundungen an das Publikum kommt Flea zurück – und überquert die Bühne auf den Händen laufend. Atmosphärisch-entrückte Klänge, die in den Weltraum passen, leiten das neue “Dreams of a Samurai” als erste Zugabe ein. Auch das Piano-Intro, das irgendwie an Elton John erinnert (der tatsächlich mit hinter dem neuen Album steckt), nimmt komplett das Feeling der letzten beiden Songs wieder weg. Es ist vielleicht der experimentellste Versuch, die ausgetretenen Pfade zu verlassen. Flea spielt einen kontinuierlich komplexer werdenden, auf und ab fließenden Bass und der interessante Schlagzeugrhythmus treibt an und hält gleichzeitig zurück. So baut sich eine langsam wachsende Spannung auf. Diese gibt Klinghoffer die Grundlage für funky Wua-Wua und zunehmend schnelles Schrammen, das durch epische Halleffekte – selbst wenn es kratzig oder kreischend ist – noch sauber und nie dreckig klingt. Wie viele Andere des neuen Albums handelt “Dreams of a Samurai” von verlorener Liebe und dem Altern:

Clearly I’m a contradiction
Too young to be my wife
I’m a lonely lad
I’ve lost myself out on the range
I don’t remember much
So don’t ask me I’ve gone insane

So klingen also die Rüpel von einst, ein Vierteljahrhundert nach “Suck My Kiss”. Über sieben Minuten bauen sich die ‘Träume’ immer weiter auf, Smith bringt mehr und mehr Elemente ein und Klinghoffers Part steigert sich von der Hintergrundgeräuschkulisse zur leitenden Rolle, die in ein herrlich waberndes Gitarrensolo mündet, unterlegt von einem teils stakkato-artig jazzigem Schlagzeugpart.

Red Hot Chili Peppers (Foto: Pressefreigabe, hfr.)

Das war ein musikalisches Highlight, lässt die Fans aber nach den Mitsingsongs davor etwas unzufrieden zurück – dafür legen die Peppers das ungezügelte “Give It Away” nach. Vor psychedelischen Animationen bunt zerfließender und dabei tanzender Leichen mit Augen auf dem Hintern geben die Funkrocker alles und das berüchtigt schnelle

“Give it away, give it away, give it away now” hallt von den Rängen wider.

Wenn es auch einige echte Glücksmomente gab, springt der Funken heute Abend größtenteils nicht über. Tanzen, Pogen und Crowdsurfen bleiben die Ausnahme und die Stimmung will nicht so recht aufkommen. Woran hat es gelegen? Das ist natürlich immer so die Frage. Zum einen wohl daran, dass mehr Songs zum Mitsingen und Momente wie bei “Under The Bridge” erwünscht sind und man weder mit der Wahl an neuen, noch den Songs aus den 80ern da hin kommen kann. Kiedis stetige Patzer – auch bei den bekanntesten Tracks – helfen da nicht.

Das Gesamtkonzept von Danger Mouse bringt eine neue Vielschichtigkeit und erfrischende Elemente, aber auch ein insgesamt poppigeres, harmonischeres Erlebnis. Manchmal steht die Wildheit alter Zeiten wieder auf und es gibt Momente in denen die Band nur so vor Energie strotzt – aber zum Tanzen und Springen kommen die BesucherInnen in Hannover weniger als erhofft. Von der neuen Platte würden “Detroit” und “This Ticonderoga” eine andere Energie freisetzen. Mit “Hump de Bump” und “Venice Queen” haben sie Songs im Repertoire, die viel Gelegenheit für Improvisation bieten, dabei aber viel mehr nach vorne gehen. Die Erwartungen an die Truppe mit dem jüngsten Musiker in der Rock and Roll Hall of Fame sind eben hoch und entsprechend leicht zu enttäuschen.

Text: Johannes Neumann

Setlist:

  1. Around the World
  2. Dani California
  3. Scar Tissue
  4. Dark Necessities
  5. Yertle the Turtle
  6. Freaky Styley
  7. Look Around
  8. I’m So Tired 
(The Beatles cover)
  9. We Turn Red
  10. Californication
  11. Go Robot
  12. She’s Only 18
  13. Sick Love
  14. Suck My Kiss
  15. Under the Bridge
  16. By the Way
    Encore
  17. Dreams of a Samurai
  18. Give It Away

 

Links:
www.redhotchilipeppers.com
www.deerhoof.net

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