Schanzenzelt, Lieblingsort. 20:00 Uhr, das Zelt ist noch fast leer, überraschend betritt Donia Touglo mit ihrer DJane die Bühne. Wunderbar ignorierend, dass die meisten noch draussen vor dem Zelt die beginnende Nacht geniessen, füllt sie die Bühne mit ihrem kraftvoll lebendigen“Soul infused World Jam“. Eine wilde Mischung aus Afrobeats, House, Electronics, Neo-soul, Psychedelic. Geboren in Togo, ausgewachsen in Deutschland. Singt auf Englisch, Deutsch und Ewe von Freiheit.
Selten war ein Support so grandios wie sie.
20:40 Uhr. Kurzer Umbau, nun stehen zwei Mikrophone und ein kleiner roter Plüschtisch auf der Bühne, Mariama wird an diesem Acoustic – Abend nur begleitet ihrer Gitarre und von Bassistin Shanice Ruby Bennet.
Mariama ist Kölsches Mädchen im Herz und Nomadin in der Seele. Geboren in Freetown, Sierra Leone, aufgewachsen in Deutschland und später in Paris. Die Mutter deutsch und ihr Vater aus Sierra Leone, seine Familie sind Fulbe, also Nomaden. Mariamas Musik bewegt sich frei durch Genres und Geschichten, die das Leben schreibt. Musik, die abgesehen von Gastauftritten bei Projekten von Curse, Patrice oder Max Herre bislang ausschließlich in Frankreich veröffentlicht wurde.
“I was hiding between the shadows and the dark. And I found songs in the silence.”
Das wunderschöne Zirkuszelt unterm Wasserturm im Hamburger Schanzenpark füllt sich mit der magischen Stimme Mariamas, zerbrechlich, scharf und glockenhell auf ganz eigene Weise irgendwo zwischen Nneka, Erykah Badu und LP. Ihrer Gitarre und Shanices Bass entströmt ein Raggae, der für diese Musik ungewöhnlich klingt, durch die Mariamas sonst grösser produzierte Songs eine unglaublich intensive Intimität finden. Dem eine Fröhlichkeit innewohnt, der ihre sehr persönlichen dunklen Texte über das Alleinsein, das Leben als bewusst und mit Absicht eigenständige Frau ohne Kind und Mann und die Qualen des Rassismus besonders macht. Texte, Songs ihrer kommenden in der Einsamkeit der Pandemie entstanden Platte „A Woman alone“
“it has made me reflect on what it means to face my own darkness alone as a woman – because women are not encouraged to feel that alone, by themselves, they are enough, nor are they supposed to wander off into their own darkness. What could we find there?”
Zwischen den Songs teilt Mariama mit dem Publikum sehr philosophische kluge Gedanken, die aufzuschreiben es wert gewesen wären. Vor einem Song sucht sie den Kapo für ihre Gitarre, doch der ist irgendwie nicht auf der Bühne. Shanice geht ins Backstage suchen, zu Überbrückung beginnt Mariama von ihrem Vater zu erzählen. Sie schildert, wie der britische Kolonialismus in seiner Heimat Sierra Leone systematisch die Sprache und die Kultur dort ausgelöscht haben, wie ihm auf einer britischen Schule unter Briten das Brite sein aufgezwungen wurde, wie die Kolonialmächte die Kulturgegenstände seiner Heimat als Show und Spektakel entführten. Wie schrecklich diese aufgezwungene Entwurzelung für einen Menschen ist.
Hier wird eindringlich spürbar, wie vernichtend der Kolonialismus ist. Nicht nur der Deutsche Völkermord an den Hereros, sondern auch der kulturelle Genozit der anderen Kolonialmächte und wie der Rassismus noch heute Seelen zerstört.
Auch wenn Mariama mit keinem Wort die deutsche Situation oder gar sie persönlich erwähnte, war dies auch ein bemerkenswerter Beitrag über die unsägliche Kontroverse über Sarah-Lee Heinrich und gerade ihren schmerzerfüllten Rant gegen die deutsche weisse Gesellschaft. Über ihren Rassismus und darüber, was dieser widerliche tägliche Rassismus in seinen Opfern anrichtet. Wie sich dieser unerträgliche Schmerz anfühlt und was das mit einem macht. Warum der Furor Betroffenen dagegen ZU RECHT so heftig ist. Was viele Worte nicht schaffen, hier wurde dieser Schmerz und die Verletzung durch die rassistische Gesellschaft SPÜRbar.
21:55 Uhr, der doofe Hamburgische Curfew schon wieder, das Konzert ist zuende, Mariam und Shanice verlassen die Bühne, das Publikum tobt und holt sie doch noch für eine Zugabe zurück. Trotz Tanzverbot dieser 3G-Show tanzt der Rezensent im Dunkeln…
Mariama ist wirklich ein „Geschenk Gottes”, wie die Übersetzung des Vornamens aus ihrem Geburtsland Sierra Leone lautet.
Was für ein intensiver nachdenklicher philosophischer lebendiger aufrüttelnder einen ganz beseelt und nachdenklich zurücklassender Abend voller wundervollster Musik. Danke.
Text: Jörg-Martin Schulze
Galerien (by Jörg-Martin Schulze bs! 2021)
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