Dass man beim WES auch mal nass wird ist nichts Neues, dass das Wasser jetzt jedoch auch von unten kommen kann, kam für einige Festivalbesucher*innen dann doch unerwartet und dürfte die Schafthöhe einiger Gummistiefel geknackt haben. Zum Glück nimmt man sowas an der Nordsee gelassen, sodass das Festival, welches ohne dieses kleine Gezeitenphänomen an wettertechnische Perfektion gegrenzt hätte, größtenteils unbehelligt stattfinden konnte.
FREITAG
Während die Wettervorhersage für den Freitag noch den ein oder anderen Schauer prophezeit hat, löste sich diese graue Bedrohung mit den ersten Trompetentönen von Moop Mama & Älice in einen blauen Himmel auf. Dieses Jahr startete das Programm auf der Hauptbühne mit lediglich 15 Minuten Verspätung, davon war sogar Veranstalter Till Krägeloh überrascht und lobte sich und seine unzähligen Helfer*innen – berechtigt, denn an der Organisationsfront ließ das WES 2024 nur wenig zu wünschen übrig. Nach den letzten gerappten Zeilen von Älice ging es mit straffem Programm weiter. Auf der La Mer Bühne, die in diesem Jahr wieder ein Zelt war – leider mit unglücklichem Säulenaufbau mittig vor der Bühne- brachten Iedereen (niederländisch für „alle“) die ersten tobsüchtigen ins Schwitzen und setzten die Messlatte für die kommenden Acts des Wochenendes ziemlich hoch. Das Punkrockirgendwasmitgitarreundindie-Duo war so gut, das wir uns nichtmal zu Flowin Immo losreißen konnten, der zeitgleich die Palettenbühne eröffnete – Sorry Immo, Sonntag dann!
Durchgeschwizt und durchgeschüttelt durfte man im Anschluss bei Die Sterne im Strandsand versacken – unaufgeregt, sternig und gut spielten sich Spilker und Band durch das über 30 Jahre umfassende Repertoire. Ruiniert hat das in Dangst niemanden, nur beschwingt. Der Anschluss auf La Mer war stilistisch gar nicht so weit von den dadaistischen Anflügen der Sterne entfernt. Jaques Palminger und das 440hz Trio märchenjazzten sich durch ihr Set. Absolut schräg und mit Sicherheit nicht für jede*n, dennoch mit dickem Unterhaltungsfaktor. Wem das zu experimentell war, der hatte Pech, denn die Palette musste wegen kurzzeitiger Überflutung für einen Slot pausieren. Aber auch das Gastroangebot vor Ort kann sich ganz gut sehen lassen und lädt zu einem Päuschen ein, bevor es auf der Hauptbühne mit der großartigen Mine, die sich an der Dangaster Kulisse kaum satt sehen kann, weitergeht. Auf die kunstvolle Popmusik können sich so ziemlich alle Gäste einigen. Vor der Bühne wird’s gut voll. Zwei Schlagzeuge, Theremini, Keys, Gitarren und natürlich die talentierten Musiker*innen dahinter sorgen für ’nen guten, dicken Sound – so lässt‘s sich aushalten.
Weniger virtuos, dafür dreckig schrammelig übernehmen Panic Shack auf La Meer. Die Punker*innen aus Wales halten mit nix hinterm Berg und beschweren sich in ihren Songs über gesellschaftliche Standards gerade in Bezug auf Frauen. Wer sich hierher verirrt hat, statt bei Sharaktah, der auf der Palette sein Flutset nachholt, erlebt fraglos eines der Festivalhighlights. Dafür hätte auch Skinner Potenzial, der loslegt nachdem Ennio auf der Hauptbühne seine letzten Töne hat verklingen lässt. Leider ist an dieser Stelle aber der Sound etwas off, was bei dieser Art der Schrammelmusik (mit Saxophon!) nur mäßig gut rüberkommt. Gleichzeitig zerlegt Juse Ju das Zelt. Der Rapper lässt seinen erlebnisorientierten Gästen keine Sekunde zum Verschnaufen, dabei stacheln sich die Leute im Moshpit so auf, dass es irgendwann nur noch ums schubsen und nur noch am Rande um die Musik geht. Auch bisschen schade, dennoch ein spitzen Set seitens des Musikers. Das war auch schon eine ganze Menge für den ersten Tag, noch kurz etwas runterkommen bei der Afrobeat-Jazz-Fusion Kombo Kokoroko, bevor die weichen Federn rufen, denn der Samstag wird lang. Und warm.
Samstag
Das schöne beim Watt En Schlick ist ja, dass das Booking nicht davor zurückschreckt, auch unbekannteren Namen eine Bühne zu bieten. So gibt es auch am Samstag auf den Nebenbühnen ganz viel Neues zu entdecken, während das Programm auf der Main Stage eher, nennen wir es gefällig daherkommt – dies bedeutet keineswegs dass es schlecht ist, aber so ganz viel Aufregung wie beispielsweise mit einer Nura oder einer Peaches wie in den vergangenen Jahren gibt es 2024 nicht. So eröffnet Verifiziert am Samstag den Laden mit einer soliden Performance. Die österreichische Sängerin ist in der Region keine unbekannte mehr und konnte beispielsweise schon als Support von Casper im Modernes in Bremen überzeugen. Auch Dominik Hartz macht einen grundsoliden Job und zieht vor allem die junge Damenwelt in seinen Bann, bevor Loi mit ihrer radiobekannten Popmusik etwas mehr Pepp in den Laden bringt. Immerhin gemäßigt schräg, wird’s doch noch mit Erobique. Urlaub in Dangast statt in Italien, kann man durchaus machen. Genau wie ein Circle Pit im Wasser, warum denn nicht?
Den Auftritt von Cari Cari hätte man zeitlich kaum besser Planen können. Pünktlich zum goldenen Sonnenuntergang so’n bisschen Indie-Western samt ihrem Hit „Summer Sun“, das kriegt jede*n und grenzt schon nahezu an Kitsch – Kitsch der besten Art versteht sich. Mit Kiasmos wurde in diesem Jahr wieder auf elektronische Headliner gesetzt. Die Qualität des Minimal Techno von Òlafur Arnalds und Janus Rasmussen ist über alle Zweifel erhaben, dennoch ist es vor der Bühne nicht so voll, wie man es zu so einem Zeitslot erwarten dürfte. Es ist Musik, auf die man sich mit Körper und Seele einlassen muss, aber eben keine Musik, die Menschen zum ausgelassen feiern zusammenbringt – dicke Pluspunkte gibt’s dafür für die Lichtshow!
Doch kommen wir zu den kleinen versteckten Highlights. Mit dem bremer Original Frauke400 auf der Palette und Lampe auf dem Floß gab´s zum Wachwerden zwei durchaus schräge Alleinentertainer*innen. Während bei Frauke 400 vorsichtig geschaut wird, was genau die Frau mit der Kabelbinderbadekappe da macht, so genau wissen auch wir es nicht, wird es bei Lampe richtig voll vorm Floß. Schließlich kennt man ihn als Stagehand von Madsen. Versteckt hinter seiner riesigen Gitarre singt er nicht über dicke Erfolge, sondern die kleinen Misserfolge im Alltag und Männerfüße. Warum auch nicht? Bisschen selbstbewusster machen das die Jungs von Steintor Herrenchor mit ihrem Retro-Post Punk, der ein junges, hippes Szenepublikum vor die Palette lockt. Danach machen Fortuna Ehrenfeld ihr Ding auf dem überaus wackeligen Floß. Die Flut kehrt zurück. Die Leute harren aus, auch wenn das Wasser an den Schienbeinen immer höher kriecht. Das Trio um Martin Bechler zieht trotz androhender Seekrankheit hier Ding durch. Perfekt eingespielt und mitreißend hinreißend im Pyjama – hoffentlich ist der salzwasserfest.
Hip-Hop Fans kommen indes bei Megaloh auf La Mer auf ihre Kosten, während es bei freekind. Auf der Palette etwas entspannter zugeht. Das kroatisch-slowenische Duo aus Österreich überrascht mit einem ganz harmonischem Stilmix aus Hip Hop, Soul, Jazz und Pop und entpuppen sich als Tageshighlight – neben My Ugly Clementine, ebenfalls aus Österreich ( die Wien-Dangast Connection ist auch in diesem Jahr wieder besonders stark), die etwas rockiger aber nicht minder mitreißend im Anschluss auf der Palette übernehmen und sich kurzerhand Freekind-Drummerin Nina Korošak-Serčič ausleihen.
Sonntag
Dieser beginnt natürlich mit den Weltmeisterschaften im Schlickrutschen. Die Athlet*innen starten bei besten Wetterbedingungen und locken trotz des langen Festivalsamstags schon echt viele Leute an den Strand. Musikalisch geht es gediegen auf der Hauptbühne Los. Timber Timbre aus Kanada spielen angenehm düstere Folk-Songs zur Mittagszeit – vielleicht zu düster für einige, oder zu früh. Vor der Bühne bleibt’s doch recht luftig. Darauf folgend kann man zwischen dem kultigen NDW-Musiker Andreas Dorau auf dem Floß und dem quirligen Pablo Brooks auf der Palette wählen. Die Zielgruppen könnten unterschiedlicher kaum sein, zieht der eine die Nostalgiker an, die es auch mal schräg mögen holt der andere das Jungvolk ab, mit Coming-Of-Age Themen und tanzbaren Melodien. So richtig, richtig, richtig doll getanzt vor der Hauptbühne wird an diesem Wochenende das erste Mal bei Das Lumpenpack. Bei dem sonst eher entspannten Programm hat sich wohl eine Menge Energie angestaut, die endlich raus muss. Die Leute finden zusammen für friedvolle Circle Pits und Wall Of Deaths und selbst, als die Musiker mit dem Ford Fiesta von der Schwester das Publikum überfahren, gibt’s keine verletzten. Der Strand ist voll und die Stimmung auf ihrem Höhepunkt.
Zeit zum runterkommen gibt’s dann bei What are People for? auf der Palette. Die kunstvolle Performance der Münchner*innen, die durchaus wichtige , gesellschaftliche Themen anschneidet, scheint für einge Besuchende dann doch etwas zu artsy zu sein, so ziehen sie nach einem neugierigen Blick weiter zu Dino Brandão auf dem Floß, der zwar auch durchaus ernste Themen über Familie, Herkunft oder die zerbrechliche Psyche mitbringt, jedoch verpackt er diese in wunderschöne und zugängliche Melodien, die durchaus zum Verweilen einladen. Vor der Hauptbühne verzaubert im Anschluss Berq die junge Generation, wie schon im Jahr zuvor auf der Palette – aalglatt und fehlerfrei wird er seinem Hype in gerecht und ordnet ich mit Ennio und Dominik Hartz an den Tagen zuvor in die Liga der hippen, jungen Gentlemen ein. Danach wünschte man sich, man könnte sich dreiteilen.
Charlotte Brandi übernimmt bei erneut einkehrender Flut das Floß mit ihrem einnehmenden Chansons über das Selbst, über Weiblichkeit, über die Gesellschaft. Mit dem höher kriechenden Wasser entscheiden sich jedoch einige, auch am Strand höher zu kriechen. Ein kurzer Stopp bei Kapa Tult auf der Palette, bisschen rotzig, bisschen poppig und durchaus mitreißend. Aber auch bis zur Palette kommt das Wasser und trocken bleibt man nur im Zelt – Dort ist der australische Go-Jo mit seiner energetischen Band am Gange. Absolut positive Stimmung, der man sich kaum entziehen kann, kein Wunder, dass sich der Typ mit dem zarten Pflänzchen auf dem Kopf nach und nach zu einer globalen Sensation entwickelt – das hätte auch auf der Hauptbühne gezogen! Dort übernimmt im Anschluss allerdings eine, die das auch hervorragend kann: Joy Denalane.
Vor einigen Jahren schon mal kurz zu Gast mit Ehemann Max Herre gewesen, nun mit komplettem eigenen Set bringt sie mit ihrer Wahnsinnsstimme und positiven Art um 18 Uhr genau die richtige Stimmung an den Strand – wie schön kann so ein Moment eigentlich sein? Aber so ein bisschen Melancholie schwingt in den Gästen auch mit, denn langsam neigt sich ein wirklich schönes Festivalwochenende dem Ende endgegen. Man zählt die Stunden. Rockt noch einmal mit den überraschend guten King No-One auf der Palette, bevor Faber mit gigantischer Band inkl. Dino Brandão seine klagenden Lieder über den Strand schallen lässt.
Spätestens bei Flowin Immos beliebter Allstarsession, dem eigentlichen Headliner jedes Jahr, wird klar, das war es schon wieder. Man wartet gespannt auf die Allstars, die sich auf der Bühne einfinden. Einige davon kommen in diesem Jahr auch aus der Crew, die scheinbar echt viele musikalische Talente versteckt hält, Vor der Palette ist kein Durchkommen mehr, jede*r möchte noch etwas positive Stimmung mitnehmen. Und dann kommt Paula Hartmann und macht den Laden dicht. Vor einige Jahren selbst noch hinten auf dem Floß und am Sonntag Festivalheadlinerin. So schnell kann es gehen. Mit zurückhaltender Bescheidenheit stellt sie sich vor, erzählt, was sie mit Dangast verbindet, und bietet eine hervorragende Show. Aber auch diese richtet sich eher an das U-25 Publikum, sodass einige Gäste schon die frühere Abreise beschließen.
Und dann sitzt man zu Hause und muss all diese Eindrücke erst einmal verarbeiten. Im Vorfeld gab es durchaus Kritik am Line-Up. Der alle vereinende Headliner fehlte, das Booking durchaus gewagt, aber an anderen Stellen wieder nicht gewagt genug. Gerade auf der Main Stage war dann doch alles wieder recht glatt und unaufgeregt – nach Nummern wie den Beatsteaks oder Thees Uhlmann in der Vergangenheit ist die Erwartungshaltung auch hoch. Klar kann es dann auch mal Unmut geben, denn wer sich entschließt zum Watt En Schlick zu gehen, kauft nämlich die Katze im Sack. Bereits einen Tag nach Festivalende sind die begehrten 6000 Tickets binnen Minuten ausverkauft, ohne, dass auch nur ein*e Künstler*in – außer Moop Mama natürlich – bekannt ist. Aber man muss ja nicht mit jedem Act einverstanden sein, sondern stattdessen mit einem offenen Mindset an die Nummer herangehen. Etwas neues kann man auf dem WES immer entdecken, denn eines ist sicher: das Line Up ist immer bunt, divers und am Puls der Zeit – und dann ist da neben der Musik immer die Atmosphäre. Diese ist unangefochten gut. Die Gäste, Künstler*innen, die Crew, alle strahlen. Nirgends gibt es sichtbaren stress. Es ist wie Urlaub mit Live-Soundtrack, aber statt der typisch-arschigen Deutschen, die schon um 07:00 Uhr am Pool ‘ne Liege reservieren, sind die Miturlauber*innen in Dangast einfach nur nette und nüchterne, tiefenentspannte Leute, die rücksichtsvoll und gemeinsam ne gute Zeit haben wollen.
Bei seiner Abschlussrede, ja hier grüßt und verabschiedet der Chef noch persönlich, versprach Festivalmacher Till Krägeloh Großes für die Ausgabe 2025 – wir freuen uns und sind gespannt!
Galerien (by Thea Drexhage bs! 2024):
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Watt En Schlick Fest