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Review: Kunterbunt schwarze Pracht – GalgenLieder am Rhein – Amphi Festival 2016 (23. – 24.07.2016, Köln)

Tarja 2016 (Foto: Isabelle Hannemann bs!)

»Was stört so schrill die stille Nacht?
Was sprüht der Lichter Lüstrepracht?
Das ist das Fest des Wüstlings!
Was huscht und hascht und weint und lacht?« [2] 

Blutengel 2016 (Foto: Isabelle Hannemann bs!)
Blutengel 2016 (Foto: Isabelle Hannemann bs!)

Amphi XII. 40 Bands (39… denn One I Cinema fallen krankheitsbedingt aus) und DJs, 12.000 BesucherInnen, drei Bühnen, zwei durchtanzte Nächte, .. ein bisschen viel, als dass es in einen bescheiden Bericht passen mag. So konzentrieren wir uns – wenn es recht ist – auf die Richtig- und Nichtigkeiten, die das Auge und Ohr angerührt haben, Rand- und Anständiges, Begegnungen und Begebenheiten, von denen jede/r der BesucherInnen eigene hinzufügen könnte.

Das Amphi 2016, es liegt zeitlich gesehen – so wird man sich vielleicht einst erinnern – zwischen zwei klaffenden Wunden, zwischen München und Ansbach, etwas der Melancholie zu Füßen. Eine Melancholie, die aufkommt, als der Sonnenuntergang, der den Freitagabend in Myriaden von Rottönen zu tauchen scheint und die Auftaktveranstaltung/en mit unvergesslich macht. Rot glüht das Schwarz in den Wellen des Rheins.

»Call the Ship to Port«

Das Amphi, es steht in seinem zwölften Jahr durchaus im Zeichen von EBM, elektronischen Klängen, Synthesizern, der blutigen Härte der Rammstein-Ableger und Pyro-Poesie (Heppner, Tüsn). Aggrotech, Future-Electro-Pop, Post Punk, Goth Rock. Moderiert vom Lord of Maggots, zelebriert von zarten Seelen und LiebhaberInnen des Abseitigen aus aller Welt.[Impressionen, Gäste, Rhein,..]

Angels & Agony 2016 (Foto: Isabelle Hannemann bs!)

Samstag, 23.07.2016

Der Samstag, er beginnt nicht mit One I Cinema, er wurstelt sich durch Angels & Agony und wartet wohl auf die Megaherz Show. 

»Werk des Gesichts ist getan – Tue nun Herzwerk an den Bildern in dir, jenen gefangenen« [0]

Megaherz 2016 (Foto: Isabelle Hannemann bs!)

Die Gesichtsakrobaten entfesseln, finden – auf der Main Stage – die richtige Frequenz, um an diesem Tag den Niesel zu verschrecken und den Boden für StahlZeit zu bereiten, die das Publikum in kürzester Zeit weichkochen.

StahlZeit 2016 (Foto: Isabelle Hannemann bs!)

Selbst jene, die der neuen deutschen Härte musikalisch nicht so viel abgewinnen können, erkennen an, dass Rammstein-Tribut-Bands wie StahlZeit oder Völkerball es geschafft haben, einen Grad der Perfektion in ihrer Imitation – oder sagen wir Interpretation – zu erreichen, mit der sie die Fleischeslust, Kühle und Härte, die Bild- und Soundgewalt gewordenen Phantasien ihres Vorbildes auf die Bühne bringen. So auch hier und heute. StahlZeit eröffnen mit einem typischen Rammstein-Imperativ.

»Bück dich«

Szenenwechsel. Theater Stage. Es geben sich die Ehre: Ewigheim, eine Mischung aus »Blut, Kot, Blumen und Sonnenschein«, die angenehm viele Alternativ-Gitarren neben den Synthesizern platzieren. Deutsche Grabbeigaben im Gothic-Metal-Gewand.

Und endlich. Sehnlichst erwartet – das heimliche Highlight der Autorin – Lebanon Hanover. Versteckt im Bauche der MS Rheinenergie. Der Weg zur Orbit Stage lohnt, er führt in eine fast vergessene Welt, düsterromantisch, schön, streng, zerbrechlich, unterkühlt, melancholisch – nicht was die Location angeht, sondern ganz im ästhetisch musikalischen Sinne.

»Dance with me the Gallowdance…«

Lebanon Hanover 2016 (Foto: Isabelle Hannemann bs!)

Es war einmal Gothik… es lebe Lebanon Hanover. Laurissa Iceglass und William Maybelline – wirken als treffe Coco Channel auf Ian Curtis, vermählen Film Noir Ästhetik mit verspieltem Jugendstilpunk, bewegen die Menge mit kühler Betonpoesie, Gitarren-Bass-Wave und Minimal Synth. Reduktion, Minimalismus, Entfremdung. Schüchtern und akkurat. Und alles tanz. In sich selbst und der Musik verloren.

»Dance with me the Gallowdance…

Der Baum steht schon lange da mein Schatz
Er wartet nur darauf, dass wir uns trennen.
Der Baum steht schon da mein Schatz.
Ein wunderschöner Baum, sich zu erhängen«

Lyrics, die zwischen Deutsch und Englisch alternierend, unterkühlt, verstockt, sich zart und schreiend wie Fingernägel auf Schiefer in die Gedanken kratzen. Ein Gesamtkunstwerk. Dürfte Mensch sich etwas wünschen, so wären Lebanon Hanover der perfekte The Cure Support. »Dance with me…. the Gallowdance«

Tarja – der Kontrast könnte größer nicht sein – bedienen ein gänzlich anderes Genre. Tarja Turunen, die finnische Metal Barbie aus dem Hause (ex-)Nightwish ist eine Animationskünstlerin sondergleichen. Gewandet in weiß, greift hier modisch wie gesanglich das altbewährte Rezept: Aida meets Metal, was – ist mensch nicht unbedingt ein Fan von Symphonic-Metal-Opern-Geträller – in den Amalganfüllungen kitzelt, sobald die Band Supremacy (Muse) vernightwisht. Tarja setzen abseits davon auf viel Pose, Wallekleidchen und Lederklamotte bei den besaiteten Mannen. Ein Geschenk für das Okular. Ob jedoch die Fangemeide bei einer etwas wuchtigeren Walküre ebenso verzückt wäre, ist eine Frage, die wir hier den KennerInnen überlassen.

Aesthetic Perfection 2016 (Foto: Isabelle Hannemann bs!)

Aesthetic Perfektion sind voll ab- aber leider vollkommen im Nebel untergegangen. [Wir haben sie glücklicherweise aus der »Video der Woche«-Konserve, da das Lichtkonzept »weniger ist mehr« hier nicht ganz aufgegangen ist.]

Abseits von der visuellen Nullinie sind Aesthetic Perfektion ein absolut energetisches Electronic Erlebnis (inklusive Live-Drums und Live-Keys) mit einem – soweit mensch das nebelblind unter Strobo-Flackern beurteilen kann – ausdrucksstarken Frontmann – Daniel Graves.

Eine Band, von der man gewiss noch hören wird. Ästhetisch und perfekt ohne dabei langweilig zu sein. [1]

 

Mark Benecke 2016 (Foto: Isabelle Hannemann bs!)

Blutengel. Die Anmoderation Mark Beneckes ist eine einzige Laudatio auf die Goth-Pop-Poeten – Chris Pohl und Ulrike Goldmann. »We will wock you« deutet sich an. Blutengel flirten mit Lucifer. Ein altbewährtes Showkonzept dekliniert den Madonna-Hure-Komplex durch, pellt leichte Mädchen aus weißen Kutten, spielt mit Erotik, Eleganz und Tanz.

Der Dr. tanzt, die Meute feiert.

Chris Pohl – Blutengel 2016 (Foto: Isabelle Hannemann bs!)

Sonntag, 24.07.2016

Tüsn. Der Amphi-Sonntag beginnt mit einer kleinen Überraschung aus Berlin. Tüsn. Wir sind begeistert von diesem überbordenden Minimalismus. Stefan ‚Snöt’ ist ein graziler König, ameisenartig, tracki-nackig, majestätisch (?), sodass ein bisschen egal ist, ob auf der Schublade Indie-Pop steht oder ob deutsch gesungene Lyrics schnell in einem Hamburger-Schule-Pädagogen-Geseier Verdacht stehen.

Tanzen ist Gold.

Tüsn 2016 (Foto: Isabelle Hannemann bs!)

Das graziöse Dreiergespann aus Bass, Drums und Snöt, hält mehr, als online verfügbare Videos versprechen könnten. Die Brut der Nacht ist angefacht. Wie gut, dass Tüsn sogleich ankündigen, im Oktober auf Tour zu gehen und bereits am 05. August auf dem Fährmannsfest Hannover zu gast sind. Tüsn. Punkt.

Solar Fake 2016 (Foto: Isabelle Hannemann bs!)

Apropos innere und äußere Schönheit.

Solar Fake 2016 (Foto: Isabelle Hannemann bs!)

Solar Fake. Die Autorin ist – nach wie vor – verliebt in Sven Friedrichs charmant berlinernde Bescheidenheit. Solar Fake der – völlig fusselfreie – Elektroakt sind mehr als eine manische Episode, Solar Fake sind akut ästhetisch.

Einerseits akkurat aufgeräumte, perfekt vorbereitete Profis, andererseits lacht und scherzt Friedrichs über streikende Computertechnik und lächelt Patzer einfach weg. Das ist Größe. Solar Fake sprühen vor Energie und Spaß. Dem Duo Friedrichs und Feller ist vom ersten Ton an anzumerken, dass sie genau das – hier und jetzt – wollen und leben und mehr.

Das Publikum liebt die gar nicht geFAKEten Berliner dafür.

Suicide Commando. Das Suicide Commando feiert auf dem Amphi 2016 sein 30jähriges Bühnenjubiläum (eigentlich wäre es das WGT gewesen, lässt uns Benecke wissen.) und – wie sollte es anders sein – der Name der Band gebietet es beinahe, dass die Anmoderation ein kleiner Workshop in Sachen MörderEinMalEins ist. Denn – jawoll – Bind Torture Killer ist nicht nur der Name eines Songs des Suicide Commandos, er gemahnt Fachkundige sofort an den BTK Killer Dennis Rader, der seine Opfer entsprechend fesseltete, quälte und tötete. Bind – Torture – Kill.

»Start bleeding stop breathing
I take your life I am defeating«

Coppelius

Coppelius 2016 (Foto: Isabelle Hannemann bs!)

»Schön kühl hier drinnen.. Ändert sich noch«, spricht es im andächtig wartenden Theater. Es tritt auf der Herr der Maden und gibt den wartenden coppelianischen Gästen Morgensterns »Lüsterfest« zum Besten.

Coppelius 2016 (Foto: Isabelle Hannemann bs!)

»Was cymbelt gell? Was flüstert sacht?
Das ist das Fest des Wüstlings!
Die Pracht der Nacht ist jach entfacht!« [2]

Auftritt Coppelius. Jedes Konzert dieser Band ist ein Gedicht. Es erklingt zum ersten Akt der Tanz der Zuckerfee. Butler Bastille erleuchtet das Haus und es kommt wie’s kommen muss, schnell machen die besaiteten und flötenden Wüstlinge der Stille den Garaus. Coppelius sehe, wer kann, denn die Erlauchten haben eine Schaffenspause angekündigt.

»Die Tugend stirbt, das Laster lacht!
Das ist das Fest des Wüstlings!«

 (Zu flüstern) [2]

Amphy 2016 (Foto: Isabelle Hannemann bs!)

Das Amphi Festival 2016, es feierte 30 Jahre Suicide Commando, 25 Jahre Project Pitchfork, 20 Jahre L’Âme Immortelle. Wir können hier nicht auf alle Highlights eingehen, zumal – diese Kritik sei gewährt – die Wege zwischen den Bühnen sowie Parallelkonzerte zur Auslassung zwingen, wollen aber unbedingt anregen, dieses feine Festival zu pflegen.

Der Tanzbrunnen leuchtet, wenn er schwarz überschwemmt wird in zahlreichen (Klang-) Farben.

Weitere Konzertfotos vom Amphi Festival in unserer Galerie:

Links:

Aesthetic Perfection 2016 (Foto: Isabelle Hannemann bs!)

www.megaherz.de
www.stahlzeit.com
www.ewigheim.de
www.facebook.com/lebanonhanover
www.tarjaturunen.com
www.aesthetic-perfection.net
www.blutengel.de
www.tuesn.de
www.suicidecommando.be
www.solarfake.de
www.project-pitchfork.eu
www.lai-music.com

www.amphi-festival.de

Nachtrag. Auch wenn wir sie hier nicht eigens ausführen, Peter HeppnerCovenant waren so energetisch – und ein absoluter Gewinn für’s Line Up – wie der gewohnt blutig skurrile Augenschmaus von Ost+Front. Daniel Schulz, der Unzucht Serientäter, strahlend und seine Kettenhunde vor allem laut, während mensch bei Mantus eher den Eindruck hatte, die Band verstecke sich auf der viel zu großen Bühne, in langen Melodien,…

 

[0] R.M. Rilke, Duineser Elegien (1922)

[1] Die Theater Stage macht es indes unmöglich zu sehen, zu atmen oder sich zu bewegen. Kaum auszudenken, was passiert, wenn hier jemand die Orientierung oder das Bewusstsein verliert. Ein schwülheißer Brutkasten für Panik.

[2] Christian Morgenstern, Das Fest der Wüstlinge (1981)

 

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