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Rammstein: Zeit (2022)

Rammstein: Zeit (2022)
Ramsmtein: Zeit (2022)
Industrial
Universal Music
29.04.2022
www.rammstein.com

Tracklist:

  1. Armee der Tristen
  2. Zeit
  3. Schwarz
  4. Giftig
  5. Zick Zack
  6. OK
  7. Meine Tränen
  8. Angst
  9. Dicke Titten
  10. Lügen
  11. Adieu

 

Es ist wirklich faszinierend! Es erscheint in diesem Tagen ein neues Rammstein-Album und ganz Deutschland verwandelt sich wie bei einem großen Fußball-Turnier in einen „besseren“ Bundestrainer bzw. hier in den „schlauesten und kritikwürdigsten“ Musikjournalisten. Jeder scheint das Wissen und Können ausschließlich für sich gepachtet zu haben und somit ist die „Zeit“ regelrecht reif dafür, Dinge niederzuschreiben, um Aufmerksamkeit zu ergattern. Mir ging dieses Verhalten beim 2019er Vorgänger „Rammstein“ schon etwas auf den Zeiger, aber aktuell erfährt dies wahrlich neue Dimensionen! Wie sagte einst Kiss-Schlabberzunge Gene Simmons: „Meinungen sind wie Arschlöcher, jeder hat eines!“. Wohl wahr, aber dass dabei Überinterpretationen, Fehleinschätzungen oder einfach nur Unwissenheit praktiziert werden, juckt dabei nicht, denn man kann sich der medialen Aufmerksamkeit, die Rammstein im Zuge des Album-Releases bekommen (bzw. selbst betreiben), nicht entgehen lassen.

Daher habe ich für dieses Review beschlossen, keine Ansichten über die Texte abzugeben, denn dass darf jeder für sich selbst machen und stelle das ebenso wichtige in den Fokus: die Musik. Selbstverständlich hat jeder von euch die Scheibe mindestens einmal gehört und sich seine Meinung gebildet. Aber man muss der Scheibe auch seine Zeit geben, um sich wirklich entfalten und verstehen zu können. Denn so werden diejenigen, die sich hier textliche Schocker und Skandale erhofften zwar erneut (?) enttäuscht werden, aber werden wir in diesen aktuellen Zeiten nicht schon genug geschockt? Wir brauchen nur den Fernseher einzuschalten und schon befinden wir uns direkt in der furchterregenden Horror-Show mit dem Titel: „Das Leben in dieser Welt“. So ist „Zeit“ mehr ein Album, dass zum Nachdenken anregt, aber auch Sachen anprangert, denen wir zwar bewusst sind, aber schnell ins Hintertreffen geraten. Manches muss man sich eben immer wieder ins Gedächtnis rufen…

So wie den Vorgänger „Rammstein“, der damals für viele aus musikalischer Sicht entweder eine Glanztat darstellte oder einer Enttäuschung gleichkam. Ich zähle mich zu denen, die das „Comeback“ nach wie vor großartig finden, der aber zeitgleich befürchtete, dass der Nachfolger ein „Schnellschuss“ wie damals „Rosenrot“ (2005) werden würde, der aus Restmaterial bestand und teilweise auch uninspiriert klang. Glücklicherweise schlägt „Zeit“ nicht in diese Kerbe. Es wirkt aber auch nicht wie ein „typisches“ Rammstein-Album. Viel mehr wirkt die Band losgelöster, befreiter und auch ungezwungener. Man könnte meinen, die Band habe einfach mal frei das tun wollen, worauf sie Lust hatten, und wollten Ideen umsetzen, die in den bisherigen Albumkontexten nicht gepasst hätten. Als hätte man nun „Zeit“ dafür. Dies beginnt schon beim Opener „Armee der Tristen“ der mit seinen Keyboardsounds von Christian „Flake“ Lorenz einen Gothic-Vibe versprüht, sich aber mit dem typisch „stampfenden“ Rhythmus im Refrain klar im Rammstein-Kosmos marschiert. Der Titeltrack bewährt sich immer mehr zum tiefgreifenden und „epischen“ Grower. Dass danach ein weiterer ruhigerer Song mit „Schwarz“ folgt, führt ein wenig zu wehmütigen Gedanken. Es wäre nicht mal schlimm, wenn „Schwarz“ nicht so unscheinbar wäre, aber er spielt sich nicht auffällig genug in den Vordergrund. In dieser Stimmung gefangen, sehnt man sich nach einem zeitigen Befreiungsschlag. Diesen Ansatz bringt „Giftig“ mit sich, der mit seinem Refrain schnell zum Mitsingen animiert. „Zick Zack“ entwickelt sich nach anfänglicher Blässe mehr und mehr zum guten und zugänglichen „Hit“ im typischen Rammstein-Muster. Ein kleines Highlight dagegen bildet „OK“, dass mit seiner catchy Keyboardmelodie (Kraftwerk wird hier nicht zum ersten Mal auf dem Album Tribut gezollt) und kernigen Riff nach vorne peitscht und mit schönen instrumentalen Zwischenspielen in den Strophen aufwartet. Was man daran kritisieren darf ist, dass der Refrain etwas zu „banal“ ausgefallen ist. Man hat das Gefühl, dass da noch mehr möglich gewesen wäre und so hätte es ein großes Highlight werden können. Dennoch weiß „OK“ zu gefallen! Danach wird erneut das Tempo gedrosselt, denn „Meine Tränen“ schlägt erneut ruhigere Töne mit melancholischen Momenten an. Ein etwaiger Kontrastmoment ist „Angst“ der schier „verstörend“ wirkt und mit seinen Arrangements in manchen Momenten in kleinen, aber feinen Nuancen an Slipknot und Static-X denken lässt - Starker Song! Dies kann man von „Dicke Titten“ auch behaupten – oder auch nicht! Hier könnten sich die Geister ein wenig scheiden, denn die volkstümliche Bläser-Unterstützung macht ihn zwar eigen, aber das drumherum könnte als zu „stumpf“ erachtet werden. Bei mir kommt das Lied gut an, ertappe mich aber dabei wie mir dadurch Bilder von „feschen Madln“ im Dirndl auf Oktoberfest in den Kopf projiziert werden (solange man sich nicht selbst als den Hauptprotagonisten des Textes darin sieht, ist das noch „OK“, ähm…, nicht verwerflich). Traumwelten ist die passende Beschreibung für das darauffolgende Stück „Lügen“, der mit seiner verträumten Anfangsmelodie eine Illusion und der Nutzung von Autotune im Refrain eine versteckte Doppeldeutung darstellen (kann). Danach ist es Zeit Abschied zu nehmen. Zumindest von dem Album, denn der Closer „Adieu“ setzt einen hervorragenden Schlusspunkt, der aufgrund des Titels schon zu den wildesten Spekulationen angetrieben hat.

Puh, „Zeit“ hat wirklich Zeit gebraucht. Wer mit bestimmten Erwartungen an die neue Platte herangegangen ist, wird enttäuscht worden sein. Hat man sich aber ohne Scheuklappen und ohne bestimmte Maßstäbe damit auseinandergesetzt, wird eine unerwartet emotionale und unbekümmerte Seite der Band sichtbar. Dies führt aber auch dazu, dass dieses Album sich nicht zu den großen Klassikern der Bandhistorie einreihen, sondern sich im Mittelfeld wiederfinden wird. Die von vielen einhergehende Befürchtnis, dass dies der finale Schwanengesang der Berliner Formation sein könnte, wird so weit nicht bestätigt. Wenn die Zeit endgültig gekommen wäre, denke ich, würden sie es viel cleverer anstellen und auch mit einem lauten Knall beenden. Aber Rammstein haben sich mit „Zeit“ jedenfalls etwas dabei gedacht. Was man aber darin erkennen mag, ist jedem selbst überlassen. Ebenso wie der Albumtitel „Zeit“, wobei aufgrund der Stimmung der neuen Lieder der Terminus „Zeitgeist“ auch treffend gewesen wäre. Zumindest konnte man die Ausstrahlung des Werkes farblich und visuell hervorragend einfangen, wobei sich für diesen künstlerischen Aspekt in Bezug auf die Bandfotos für die neue Scheibe, Bryan Adams (ja, genau der!) verantwortlich zeigt (ein weiterer Beweis für den Status dieser Band). Somit ist der Weisheit letzter Schluss: Kommt „Zeit“, kommt RAMMSTEIN!

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