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Long Distance Calling: Eraser (2022)

Long Distance Calling: Eraser (2022)
Long Distance Calling: Eraser (2022)
Progressive Metal/Postrock
EarMusic/Edel
26.08.2022
www.longdistancecalling.de

Tracklist:

  1. Enter: Death Box
  2. Blades
  3. Kamilah
  4. 500 Years
  5. Sloth
  6. Giants Leaving
  7. Blood Honey
  8. Landless King
  9. Eraser

 

Was genau ist Kunst? Diese Frage kann man in den verschiedensten Variationen beantworten, denn es gibt keine klare „die eine“ Antwort darauf. In Bezug auf die Münsteraner Long Distance Calling sehe ich es stets als (deren) Kunst an, mit (meist) reiner Instrumental-Musik Klangwelten zu erschaffen, in denen Geschichten erzählt werden, spannende und interessante Filme im Kopfkino abspielen lassen und mit fein ausgetüftelten Arrangements auf emotionale Reisen, die tiefe und unbekannte Gefühle wecken können, zu begeben. Diese „Kunst“ verdient es für voll genommen zu werden und seine Konzentration im Ganzen einzunehmen. Wer also nur „Hintergrundberieselung“ sucht, der sollte sich nicht mit Long Distance Calling beschäftigen und braucht auch dieses Review nicht weiterzulesen. Wenn man sich mal von dieser beschissenen Welt oder seinem stressigen Alltag komplett abkoppeln möchte, den lege ich die Musik der Jungs schon lange ans Herz, denn es ist Musik mit Anspruch. Zugegeben, diesen Anspruch kann man selbstverständlich u.a. in der klassischen Musik finden, aber wer es gerne härter mag, der wird hier seinen geeigneten „Zufluchtsort“ finden.

Doch, ist „Eraser“ dafür auch wirklich geeignet? Aus musikalischer Sicht stellt sich diese Frage erst gar nicht. Aber dem Album unterliegt einem wichtigen und ernsten Konzept: Jeder Song behandelt eine jeweils vom Aussterben bedrohte Tierart. Kein sehr erbauliches Thema, um den Kopf frei zu kriegen, aber auch das ist “Kunst“, diese handlungsbedürftige Lage richtig anzugehen, indem man nicht von außen „sagt“ „Alles ist scheiße, ihr/wir sind schuld“ und dabei dystopische Soundcollagen entwickelt, sondern man die Schönheit und Einzigartigkeit dieser Lebewesen in den Vordergrund stellt und darauf hinweist, dass man etwas tun muss, damit diese Tierarten weiterhin existieren können. Passend zu der Thematik ging die Band eine Zusammenarbeit mit Greenpeace ein und setzt damit ein weiteres Zeichen. Der größte Clou an diesem thematischen Grundkonzept ist der Closer und zugleich der Titeltrack des Albums. Dieser Song behandelt den Menschen. Ja, auch dieser ist im Grunde eine vom Aussterben bedrohte Tierart (auch wenn die Weltpopulation immer weiter steigt, aber so wie er sich auf diesen Planeten benimmt und dabei nicht nur Mutter Natur zerstört, sondern sich auch gegenseitig mit sinnlosen Kriegen und anderen Gewalteskapaden, ist es auch nur noch eine Frage der Zeit, bis er sich auch ausrottet…), der nicht nur der Verursacher dieser Situation ist, sondern auch der Einzige ist, der etwas dagegen tun kann. Der Mensch muss richtig handeln, und zwar sofort, bevor alles zu spät ist, sonst können wir der Nachwelt nur noch die Daten der „Earth´s Black Box“ hinterlassen. Dies wurde auch passend auf dem Albumcover widergespiegelt, denn die von Tierknochen umgebende Hand hält eine „Black Box“ (wer mehr dazu wissen möchte, der googelt „Earth´s Black Box“ – lesenswert!) noch fest.

Musikalisch hat man dies ebenfalls hervorragend umgesetzt. Das Intro „Enter: Death Box“, versetzt einen in eine bedrückend nostalgische Gefühlswelt, die aufzeigt, dass das, was wir (noch) so kennen, zeitnah Vergangenheit werden könnte. Daraufhin erstrahlen u.a. der Gorilla („Kamilah“), das Faultier („Sloth“ – wunderschön mit Saxophon charakterisiert), der Grönlandhai („500 Years“ – mit epischer Erhabenheit und Doublebasses), der Wanderalbatros („Giants Leaving“) oder der Langhornbiene („Blood Honey“). Der Mensch setzt den Schlusspunkt und schließt damit den Kreis, wobei die Bedrohlichkeit hervorragend mit Streichen symbolisiert wird.

Wirkungsvoll, genial und anspruchsvoll! Long Distance Calling machen alles richtig und beweisen erneut zu Recht ihr Können und ihre Kreativität. Ich kann kaum etwas an „Eraser“ aussetzten, bis auf eine winzige Kleinigkeit: Der Vorgänger „How Do We Want To Live“ mit seiner „Mensch/Maschine“-Thematik hat die Messlatte enorm hochgelegt, dass ein wahres teils apokalyptisches Bildmaterial zu einem Film im Kopf erschaffen ließ. „Eraser“ kommt den zwar verdammt nahe ran, nur bei „Blades“ (Spitzmaulnashorn) und „Landless King“ (Tiger), wollen sich die Bilder im Kopf dazu nur in Stücken bilden, aber nicht in seinem gesamten Kunstwerk. Die Höchstnote ist dennoch verdient und von mir das Prädikat „nahezu genial!“

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