Preview: Corvus Corax – die Könige der Spielleute in der CD Kaserne (28.12.2015, Celle)

Die sogenannte Phantomzeit-Theorie behauptet, dass die rund 300 Jahre zwischen 614 und 911 n. Chr. nie stattgefunden haben. „Das erfundene Mittelalter. Die größte Zeitfälschung der Geschichte“ heißt ein einschlägiger Buchtitel zu diesem Thema, Die Experten streiten. Dabei ist eigentlich alles ganz einfach: Corvus Corax haben das Mittelalter erfunden. Kurz vor der großen Zeitenwende im Jahre 1989.

Im Zeichen des Raben

Foto: Alain Heymans
Foto: Alain Heymans

Es ist kein Zufall, dass die Geschichte der „Könige der Spielleute“ mit einer Band namensTippelklimper beginnt. Als „Tippelbrüder“ bezeichnet man Handwerksgesellen, die sich nach ihrerFreisprechung auf die Wanderschaft machen. Tatsächlich begaben sich Castus und Wim nachLehrjahren als Straßenmusiker in der DDR auf große Fahrt. Die beiden überzeugten Vertreter derSpielmannszunft weigerten sich nicht nur musikalisch, Grenzen zu akzeptieren: Kurz vor demMauerfall begingen sie Republikflucht. Im Gedenken an ihren zurückgelassenen Kameraden, einenzahmen Kolkraben, nannte man sich von nun an Corvus Corax. Das erste Album, „Ante CasuPecatti“, erschien als Cassette noch im selben Jahr. Die Aufnahmen waren während der Arbeit aneinem DEFA-Märchenfilm in einer gewitzten Nacht- und Nebelaktion entstanden.

Von Anfang an bürgte der Name Corvus Corax für die Neuinterpretation mittelalterlicher Melodien im Zeichen der Sinnesfreude. Mit Trommeln und Marktsäcken (bis heute werden diese eigenhändig von Wim gebaut), allerhand Gaukeleien und kurzweiligen Ansagen, trugen die Berliner maßgeblich zur Entwicklung dessen bei, was wir heute als Marktmusik kennen. Weltweit ist der Name der Band ein Synonym für treibende Rhythmen, schweißtreibende Konzerte und virtuoses Dudelsackspiel.

Mit Alben wie „Mille Anni Passi Sunt“ aus dem Jahr 2000 (mit dem Dracula-Erben Ottomar Rodolphe Vlad Dracula Prinz Kretzulesco als Gastsänger) wurden sie für eine ganze Szene stilprägend. Das gilt nicht nur hierzulande, sondern von Moskau bis Mexiko City. In Japan und China, den USA und Kanada haben die Konzertreisen der rastlosen Musiker ebenso ihre Spuren hinterlassen wie in ganz Europa von Schweden bis zu den Azoren und von der französischen Atlantikküste bis nach Polen.

Antike Stelen und Taiko-Trommeln

Corvus Corax haben sich nie damit begnügt, ihr Erbe zu verwalten. Immer wieder bewiesen sie ihre Experimentierfreude. Mal erkundeten sie auf den Spuren einer altgriechischen Stele die Antike („Seikilos“), mal bearbeiteten sie die den ergiebigen Fundus der Carmina Burana im zweiteiligen Orchesterwerk „Cantus Buranus“ und schufen einen bombastischen Crossover mit klassisch geprägten Breitwandklängen, den sie mit lokalen Chören und Orchestern auch in Mexico, China oder Rumänien auf die Bühne brachten. „Venus Vina Musica“ feierte die Lebensfreude und lieferte unter anderem einen Zauber gegen den Kater nach durchzechten Nächten. Mit den Taiko- Trommlern von Wadokyo zelebrierten Castus, Wim, Norri & Co. mitreißende Auftritte, die Alben „Sverker“ und „Gimlie“ wiederum markierten die Hinwendung zu keltischen Klängen und nordischer Mythologie – selbstredend geprägt vom Erfindungsreichtum der Band und ihrem Sinn für stimmungsvolle Inszenierungen. Wer die Masken und Kostüme der jüngsten Konzertabende gesehen hat, muss unweigerlich gestehen, dass Corvus Corax auch den Wikingern ihren Spielmannsstempel aufgedrückt haben.

Von Walther bis Wacken

Wenn sich die Karriere von Künstlern über Jahrzehnte erstreckt, wird gern gefragt, was das Geheimnis ihres Erfolges sei. Die Gründe für den anhaltenden Erfolg sind vielschichtig. Drei Faktoren geben den Ausschlag: Zum einen entspringt die Musik von Corvus Corax gelebtem Spielmannstum. Mit nichts als den Instrumenten am Leib und einem Esel durch die Lande zu ziehen, war eine Schule, die mit dem Weg eines Handwerksgesellen zur Meisterschaft vergleichbar ist. Hinzu kommt Neugier. Interesse an Musik aus aller Welt, die das Repertoire von Corvus Corax um Stücke wie das chinesisch-stämmige „Chou Chou Sheng“ und um unzählige kleine und große exotische Instrumente bereicherte. Schließlich wäre da noch Wims Werkstatt, in der neben Sackpfeifen, Schalmeien und Trumscheiten auch eine eindrucksvolle Riesendrehleier oder die mächtigen Hörner entstanden, mit denen derzeit der archaische Norden heraufbeschworen wird. In kundigen Händen sorgen diese Schöpfungen für ein unverkennbares Klangbild.

Ist das authentisch? Die A-Frage lässt sich im Falle von Corvus Corax leicht beantworten: Ihre Musik fußt auf alten Quellen, die Vorlagen für das Instrumentarium finden sie auf historischen Abbildungen, das Ethos der Speluden kommt dem Lebensgefühl historischer Spielleute ziemlich nahe. Vor allem aber sind Corvus Corax ganz und gar sie selbst. Handgemachte Musik ohne elektronische Extras: unter dieser Prämisse nehmen sich die Musiker alle Freiheiten. Walther von der Vogelweides historischer Ohrwurm, das „Palästinalied“, trifft in ihrem Gesamtwerk auf Kuriositäten wie „Twilight Of The Thundergod“ – im Original ein Song der Deathmetal-Wikinger Amon Amarth. Kein Wunder, dass die Vollblutmusiker längst nicht mehr nur auf Burgfesten und Mittelaltermärkten, sondern auch auf Festivals wie dem Wacken Open Air oder dem Summer Breeze Triumphe feiern. Ob am Ende alles originalgetreu historisch klingt? Geschenkt. Corvus Corax sind das Original!

Ein Hauch von Hollywood

Die Geschichte von Corvus Corax ist filmreif. Eine Leinwand-Adaption steht noch aus. Dafür gab es in der Vergangenheit Gastauftritte der Berliner vor der Kamera (im TV-Spektakel „Die Rache der Wanderhure“) und musikalische Beiträge zu verschiedenen Produktionen. Kein geringerer als Hollywood-Komponist Hans Zimmer („Gladiator“, „Fluch der Karibik“) setzte sich mit den Königen der Spielleute in Verbindung und leitete in die Wege, dass Corvus Corax für seinen Mitarbeiter Lorne Balfe Musik zu „Ironclad“ beisteuerten. In der von Monty-Python-Legende Terry Jones präsentierten BBC Dokumentation „Die Kreuzzüge“ erklingen die Dudelsäcke der Kolkraben ebenso, wie im Computerspiel „Dragon Age“ oder verschiedenen Hörbüchern. Populärstes Beispiel: „Die Zwerge“ von Markus Heitz. Mit Knochenklappern und Schmiedehämmern, Pfeifen und Tröten untermalt das Septett auch die zugehörigen Lesungen von Schauspieler Johannes Steck, die längst Kultstatus erlangt haben.

Was als nächstes kommt, steht angesichts dieser Vielfalt in den Sternen. Werden die Spielleute ins Hochmittelalter zurückkehren? Werden sie ihre südamerikanischen Impressionen verarbeiten und Dudelsäcke mit Klängen aus dem Reich der Azteken vereinen? Führt sie ihr Weg ein weiteres Mal gen Norden oder in die zauberhafte Welt des Orients? Das bleibt abzuwarten. Fest steht: Corvus Corax werden uns wieder überraschen und sich ein Stück weit neu erfinden.
Datum Mo 28.12.2015
Beginn 20:00 Uhr
Einlass  19:00 Uhr
VVK € 21,90
AK € 25,00

Die Dates:

FESTUM CELEBRARE – Das Festgelage der Spielleute

  • 08.12.15 72072 Tübingen Sudhaus
  • 09.12.15 63739 Aschaffenburg Colos-Saal
  • 10.12.15 68199 Mannheim Alte Seilerei
  • 11.12.15 96049 Bamberg Live CLub
  • 12.12.15 85057 Ingolstadt Eventhalle Westpark
  • 13.12.15 A-110 Wien Szene
  • 15.12.15 35037 Marburg KFZ
  • 16.12.15 38539 Müden Kubus
  • 17.12.15 39114 Magdeburg Altes Theater
  • 18.12.15 10961 Berlin Passionskirche
  • 20.12.15 10961 Berlin Passionskirche
  • 25.12.15 03044 Cottbus Bebel
  • 26.12.15 01157 Dresden beatpol
  • 27.12.15 04277 Leipzig Werk 2
  • 28.12.15 29221 Celle CD-Kaserne
  • 29.12.15 20095 Hamburg Markthalle
  • 30.12.15 49074 Osnabrück Rosenhof
  • 31.12.15 44147 Dortmund MPS Silversterparty

Links:

http://www.corvuscorax.de/

Torsten Volkmer
Torsten Volkmerhttp://www.torsten-volkmer.de
Volkmr, der Gründer des ehemaligen Goth-Zine.de, verdingt sich „selbst und ständig“ als Linsenputzer bei volkmr fotografie ihm seine Knipsklitsche, hat sich als Chefredakteur 2.0 selbst recycelt, die Metalfriese abgeschüttelt und kämpft mit be subjective! erfolgreich gegen hausgemachte Langeweile, Schubladendenken und seine Profilneurose an. Manchmal darf er auch die RedakteurInnen rumfahren oder Wassereis abstauben.

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