Review: Ryan Adams – Love Is Hell Pt. 3 (16.07.2017, Berlin)

Ryan Adams Fans sind Freaks. Freak – ein Kosename, den mensch sich erst einmal verdienen muss. Es ist ein paar Monate her, da lagen ein bis zwei Dutzend von ihnen auf der Lauer, denn auf Instagram hieße es »Goodbye Oslo, Hello Berlin!!!« 1. Februar und zwei Tage zuvor hatte der Meister in einem Londoner Bookstore einen kleinen Nachmittagsgig gegeben. 5.215 Leuten gefällt das. Budti, der eigentlich Andreas heißt, und ich rätseln, die bahncard und die Kamera auf Anschlag. Die Chancen standen nicht schlecht, doch selbst die Premiumquellen bei radioeins lauerten ratlos. Doch Adams deutet nur an und verschwindet so schnell wie er in Berlin gewesen zu sein scheint. Gerüchteküche erkaltet. Wenig später erscheint ›Prisoner‹ und mensch darf wieder hoffen. Und endlich, es muss Anfang März gewesen sein, steht es fest: Mr. Ryan Adams kommt endlich wieder nach Berlin. Unglaublich.

Paradisia (Foto: Isabelle Hannemann bs! 2017)

Tempodrom kurz vor Acht, die Seele in einem ungeheuerlichen Fotovertrag dem Teufel vermacht, kennt man, hasst man, schreckt ab, nur nicht ›Hector from mexico‹, der auf Englisch nicht verstanden hat, was auf deutsch schon keinen Sinn macht, Konzertfoto-Berlin-Markus und mich. Fotos nur von FOH, also dem Tonmischpult am der Bühne gegenüberliegenden Ende des Tempodroms, ohne Blitz versteht sich von selbst, dass keiner von uns je einen dabei hat, auch irgendwie. Achselzucken auf mexikanisch. Egal, hier bin ich Fan, hier darf ich sein. FOH ist sowas wie die Übersetzung von WTF. So richtig geil is das heute alles nicht, denn ich hätte Adams lieber zwischen George Orwell, vergilbten Reclamheften, halb improvisiert und -akustisch gesehen, als Hinterköpfe im – wenn auch wunderschönen – Tempodrom zu fotografieren. Egal. Herausforderung. Kein Problem. Mit Licht kann ja jede/r.

Paradisia (Foto: Isabelle Hannemann bs! 2017)

Support: Paradisia! Die Selbstvorstellung der Elfen geht komplett unter. Harfe, Gesang und Pianoklang. Sophie-Rose, Kristy and Anna. London. Paradisia. Manche/r ist komplett verzaubert, manche/r kann mit den „Sound of the Freedom“-Soundgewebe jedoch so gar nichts anfangen.

Dancing In The Dark

Ryan Adams (Foto: Isabelle Hannemann)

Zwo, drei vier, Springsteen, Adams. Jetzt kann ich’s ja sagen: Ich bin gar nicht würdig über Ryan Adams zu schreiben. Ich besitze kein Karohemd, ich hab nicht eine Bartstoppel, trage nie eine Hornbrille, ich kann diese Unmengen an Output von Alben weder alphabetisch noch nach Veröffentlichungsdatum aufsagen, ich könnte keinen Songtext in Gänze rezitieren und ich kann nicht mal Gitarre spielen oder gar eine halten. Gefühlte 80 Prozent der heute Anwesenden erfüllen mindestens drei der genannten Voraussetzungen perfekt. Verwette ich meinen Arsch drauf. Also was soll ich denen erzählen, die alles wissen von Whiskeytown, über Magnolia Mountain bis hin zum Taylor-Swift-Ausflug? Wie kommt mensch also unbebartet und unkariert dazu 300 km auf sich zu nehmen, um Mr. Ryan Adams zu begegnen?

Ryan Adams (Foto: Isabelle Hannemann)

Ryan Adams Fans sind Freaks, Musikers, die ihre Amps selber aus alten Fahrrädern zusammenlöten. Die würden auch 800 Kilometer fahren und sich ’ne Woche nicht waschen, um einen Blick auf Adams‘ Padelboard zu erhaschen. Und das ist noch untertrieben. Dieser Text ist also ein Geschenk ans Fansein, an Freaks, an die Nerds da draußen, die sich mal wieder waschen und rasieren sollten, weil Adams in Dir ist, keinen ‚Look‘ braucht und auch keine – wie heißt das Neudeutsch? – verschrobene ‚Attitude‘.

Wenn man es genau nimmt, war Adams wohl schon immer da. Er wurde mir nicht mal bei der Trennung zugesprochen, nicht zu gleichen Teilen, noch zu ungleichen. Er war einfach da und ging nie richtig weg. Ganz genau wie eine Narbe eben. (Getrennt sein ist übrigens so wichtig wie kariert sein, sonst ..2) War er tatsächlich! In Seriensoundtracks, „Elizabethtown“ und bestimmt auch in „Fifty Shakes of Dingsen“. Immer wenn irgendwo cineastisch geschmachtet wird und ’ne Universal-Püppi zu teuer für die Tränengrundierung ist, vergewaltigt man das „best of Ryan Adams. Ohne Rücksicht auf Verluste.

Come pick me up
Take me out
Fuck me up
Steal my records
Screw all my friends
They’re all full of shit

Fakt ist: Adams funktioniert einfach nicht, wenn die Sonne scheint. Oder doch? Adams funktioniert auch nicht auf grober Bühne. Oder doch? Fakt ist: Adams schreibt den Soundtrack zu jeder Narbe, die er mit jedem Mal, da du die Platte umdrehst – ob metaphorisch oder auf einem richtigen RillenliebhaberInnen-Gerät – mit der Plattennadel wieder aufreißt, weil man das Gute, das immer Gut bleiben wird, einfach nicht hassen kann, selbst wenn es gut läuft.

He makes magical music and serenades his cat.3

Ryan Adams (Foto: Isabelle Hannemann)

Und irgendwie braucht es nicht mehr als Adams, halbakustisch in einem alten Buchladen, bei Schimmerlicht, das sich von Scheinwerfern in den Regentropfen bricht, eine Mundharmonika, ein Katzerich. Und tatsächlich wirkt das gesamte Bühnenbild, als wolle man die heimelige Gemütlichkeit auf eine große Bühne transportieren. Alte Röhren-Mini-Fernseher zur Pyramide gestapelt, Verstärker- und Katzenattrappen. 21:00 Uhr. Tempodrom. Berlin.
Ryan Adams in bester Laune. Das wenige Licht bricht sich in bebrillten Gesichtern. Mann tanzt exaltiert. Genießt. Die Fans in den ersten Reihen, sie scheinen von der Magie und den Witzeleien unter den Musikern abgeholt. Ich verstehe nichts, so laut ist es. Es fehlt an nichts, schmachten die einen, es fehlt in den Tiefen, fachsimpeln die anderen. Ich verstehe nichts, so laut ist es.

Was gäbe ich um ein Duett mit Orwell!

Ryan Adams (Foto: Isabelle Hannemann)

Ab und an passiert genau das: Adams und Gitarre. Nicht mehr und nicht weniger. Vermutlich wüssten zwei Drittel eher den Namen von Adams Kater als irgendeinen der Mitmusiker benennen zu können. Adams ist ist die Band, da können noch so viele Orgeleinen, Tamburin-Teufel und Fendersounds die Bühne füllen. Aber Ryan Adams Fans sind Freaks, die feiern oder verzeihen die kongeniale Kombo oder wären gern selbst Teil seines poetischen Universums voller Schmerz und Hoffnung.

„I’ve got nothing left to say“

 

Galerien (by Isabelle Hannemann bs! 2017):

Ryan Adams (Foto: Isabelle Hannemann)

Setlist Ryan Adams:

  1. Gimme Something Good
  2. Do You Still Love Me?
  3. Outbound Train
  4. Everybody Knows
  5. Doomsday
  6. Dirty Rain
  7. Stay With Me
  8. Two
  9. When the Stars Go Blue
  10. New York, New York
  11. Magnolia Mountain / Cold Roses / Magnolia Mountain
  12. Invisible Riverside
  13. Fix It (Ryan Adams & The Cardinals cover)
  14. Let It Ride (Ryan Adams & The Cardinals cover) (Satan coming on stage playing Tambourine)
  15. Juli
  16. Prisoner
  17. To Be Without You
  18. Am I Safe
  19. When the Summer Ends
  20. I Just Might
  21. Halloweenhead
  22. I See Monsters (Jason Isbell gewidmet)
  23. Shakedown on 9th Street (Satan returns)
    Encore:
  24. Come Pick Me Up

Links:
www.facebook.com/paradisiabook
www.facebook.com/ryanadams

Veranstalter: 
Konzertbüro Schoneberg

Anmerkungen:
1 Wer sich diesen Text saufen will, kann bei jedem Anglizismus einen Kurzen trinken.
 Das ist natürlich Blödsinn. Wenn alle AutorInnen nur bei Kerzenlicht und einer Rotweinfahne schreiben und MusikerInnen nur durch den Verlust und Tränen unsere Muse küssen könnten, wären wir alle ziemlich betrunkene Stammgäste in der ›My Way Betty Ford Klinik‹
3 Instagram © AUReview weekend paper

Isabelle Hannemann
Isabelle Hannemannhttp://www.isabellehannemann.net
Die missratene Hypotaktikerin wird als Redakteurin Schrägstrich Fotografin bei be subjective! geduldet, hat versucht sich als freie Autorin und Herausgeberin verschiedener Artikel und Bände im Bereich der kritischen Sozialwissenschaft für Suchmaschinen selbst zu optimieren und will – wenn sie groß ist – mal sehen. Künstlerisch als Autorin und Fotografin mit diversen Bands und AutorInnen zusammenarbeitend, Texte zu Papier, Gehör und auf die Bühne bringend. Na dann Prost Mahlzeit!

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