Review: Circle Pits bald olympisch – Dank Rise Against (18.11.2017, Hamburg)

Ausverkauft. So die Überschrift für das Rise Against Konzert in der Hamburger Sporthalle. Bereits lange vor Einlass sammelt sich eine gewaltige Menschentraube vor den Türen der Location. Während die Einen sich noch über die happigen Parkgebühren aufregen sind die anderen schon kräftig am Vorglühen, um sich bei den bescheidenen Temperaturen etwas aufzuwärmen. Als sich die Türen um 18:00 Uhr endlich öffnen, werden alle Gäste genau durchsucht, nichtsdestotrotz geht das Prozedere zügig voran und man befindet sich schnell im warmen Foyer. Wie warm der Abend noch werden würde war kaum zu erahnen.

Als sich nach und nach die etwa 7000 Seelchen in der Sporthalle eingefunden haben wird schnell klar:

Das wird eng.

Pears (Foto: Thea Drexhage bs! 2017)

Der Laden platzt bereits bei der ersten Vorband Pears aus allen Nähten. Begeisterung jedoch sieht anders aus. Die junge Band aus New Orleans spielt Hardcore Punk. Schnell, dreckig mit beschissenem Sound – so wie es eigentlich sein muss. Das junge Publikum, nur wenig angetan, steht sich größtenteils die Beine in den Bauch. Nur in der Mitte der Masse gibt es auf Anweisung das ein oder andere Circle Pitchen. Auch der Charme der Musiker mit ihrem billyidol-esken Sänger Zach Quinn schafft es nicht, die Wand der hartnäckigen Mädels in der ersten Reihe zu durchbrechen. Schade eigentlich, die ein oder andere Ansage war tatsächlich einen Lacher wert. Von der Redaktion gibt es ein Bienchen für die Bemühungen und Authentizität, von den Gästen nach etwa 30 Minuten nur müden Applaus, begleitet von den Worten: „Egal wer jetzt kommt, kann ja nur besser werden.“

Aber kann es das tatsächlich?

Sleeping with Sirens (Foto: Thea Drexhage bs! 2017)

Nach einer zügigen Umbaupause mit gut gewählter Konservenmusik übernehmen Sleeping With Sirens aus Florida die Bühne. Sonnige Gemüter sehen allerdings anders aus. Auf die Ohren gibt’s Post-Hard-irgendwasmitemo-Core. Glattgebügelt, sauber und gut performt bringen sie Verzückung in die vordersten Reihen.

Der Sound, etwas besser, die Melodien fast schon poppig könnte der Unterschied zwischen den beiden ersten Acts kaum größer sein. Das Publikum nimmt was es kriegen kann und macht ordentlich mit. Die ersten Crowdsurfer schießen wie Pilze aus dem Boden. Die jungen Musiker sind gut aufgelegt, so gut, dass Leadgitarrist Nick Martin eine Selfieexpedition ins Publikum wagt und danach nur noch schwer den Weg zurück auf die Bühne findet.

Sleeping with Sirens (Foto: Thea Drexhage bs! 2017)

Nach etwa zehn Songs setzt, zur Freude der älteren Generation im Publikum, die angenehme Pausenmusik wieder ein.

RISE! RISE! RISE! RISE!

Tönt es aus dem Saal, bis die ersten Teile eines animierten Kurzfilms über die Bildschirme auf der Bühne flackern, bevor Rise Against diese betreten. Mit im Gepäck ihr jüngstes Album Wolves. Gestartet wird jedoch mit Chamber the Cartridge und dem großartigen Ready to Fall. Der Sound, gerade einmal Mittelmaß, macht es noch schwieriger, über die Rhythmusfehler der Band hinwegzuhören. McIlrath, gut gelaunt und putzmunter, beschleunigt seinen Gesang hier und da auf fast doppelte Geschwindigkeit, was stellenweise zu massivem Soundwirrwarr führt. Das bekommen im Bereich vor der Bühne jedoch nur die wenigsten mit.

Rise Against (Foto: Thea Drexhage bs! 2017)

Ein gewaltiges Circle Pit nimmt fast die gesamte Front of Stage ein und kommt nur in den längeren Pausen der Band zum Stillstand. Die schwitzende Masse tobt und verleiht dem Namen der Sporthalle alle Ehre. Mit The Violence gibt es den ersten Song aus Wolves, welcher genauso gefeiert wird, wie die Stücke davor und auch das Zusammenspiel der Musiker funktioniert nun hervorragend. Mit Songblöcken bestehend aus je 3-4 Liedern, prescht die Band durch ihr Set, nur unterbrochen von kurzen Einheiten weiterer Animationsfilmausschnitte. Pausen, die die meisten sicher gut gebrauchen können. Die erste längere Ruhephase für die erbitterten Tänzer gibt nach, dem inhaltlich noch immer aktuellen, Prayer of the Refugee bei einem kurzen Akustikset McIlraths. Swing Life Away –

Feuerzeuge und Handy-Led’s statt wildem Geschubse.

Rise Against (Foto: Thea Drexhage bs! 2017)

Funktioniert auch – bis es wieder laut wird. Die Crowdsurfer, mittlerweile kaum noch zählbar, werden entweder vom menschenfressenden Circle Pit verschlungen oder erreichen schweißdurchtränkt den breiten Bühnengraben, in dem die Security an diesem Abend souverän und immer freundlich, in Akkordarbeit schuftet.

Survive wird an diesem Abend Chester Bennington und Chris Cornell gewidmet, deren Stücke bereits in den Pausen im Saal ertönten. Beide Musiker nahmen sich in diesem Jahr das Leben.

Survive richtet sich an dieser Stelle an diejenigen, die mit ähnlichen Gedanken zu kämpfen haben.

Life for you, has been less than kind
So take a number, stand in line
We’ve all been sorry, we’ve all been hurt
But how we survive, is what makes us who we are

Der für Rise Against typische politische Zeigefinger wird an diesem Abend erst spät erhoben. Vor dem letzten Liederblock erzählt McIllrath im Fußballtrikot mit Totenkopf vom kürzlichen Kennenlernen zwischen Rise Against und dem Hamburger FC. St. Pauli – welche, auf Grund ihrer gemeinsamen Weltanschauung, zueinander gefunden haben.

Rise Against (Foto: Thea Drexhage bs! 2017)

FUCK RACISM! FUCK SEXISM! FUCK HOMOPHOBIA! FUCK NATIONALISM!

Rise Against (Foto: Thea Drexhage bs! 2017)

Im Fußball keine Selbstverständlichkeit. Im Hamburger Publikum zündet das natürlich sofort und die Raumtemperatur wird zum erneut wirr dargebotenen Klassiker Give it All auf ihren Höhepunkt getrieben.

Trotz technischer Imperfektion bleiben Rise Against eine der wichtigsten und sympathischten politischen Punkbands in den großen Konzerthallen unserer Welt und sorgen trotz der ernsten Themen für Abende voller Spaß und Lebensfreude.

Und nach dem letzten Stück Savior spuckt sogar das gewaltige Circle Pit die verlorenen Crowdsurfer wieder aus und entlässt sie auf ihren schweißgetränkten Weg nach Hause.

Galerien (by Thea Drexhage bs! 2017):

 

Rise Against (Foto: Thea Drexhage bs! 2017)

Setlist Rise Against:

  1. Chamber the Cartridge
  2. Ready to Fall
  3. The Violence
  4. I Don’t Want to be Here Anymore
  5. Under The Knife
  6. Satellite
  7. Collape
  8. House on Fire
  9. Prayer of the Refugee
  10. Swing Life Away (acoustic)
  11. People Live Here (acoustic)
  12. Hero of War (acoustic)
  13. Help is on the Way
  14. The First Drop
  15. Survive
  16. Wolves
  17. Give it All
  18. Audience of One
  19. Savior

Links:
www.riseagainst.com
www.pearstheband.com
www.sleepingwithsirens.net

Thea Drexhage
Thea Drexhagehttps://www.be-subjective.de
Thea Drexhage hat Salma Hayek einiges voraus! 10 mm. Wie die meisten Frauen der Redaktion, Duffy, Beth Ditto, Joan Rivers oder Angus Young kann sie die MusikerInnen aus dem Bühnengraben also völlig problemlos sehen, wenn jemand ihren Hocker trägt, wird aber - das hat sie mit Salma dann doch wieder gemein - dennoch viel zu oft auf Ihre Körpergröße, ihre Mähne und ihre leicht misanthropischen Anflüge reduziert. Damit sie also nicht im nächstbesten Titty Twister von Sonnenunter- bis Sonnenaufgang Menschenmengen und Bläser mätzelt, halten wir “Aggro-Thea”, die zuvor ganze Landstriche in Mecklenburg Vorpommern ausgerottet hat, halbtags im spießbürgerlichen Oldenburger Exil an der langen Leine. Seither legt sich die scheißpünktliche existentialistische Besserwisserin analog mit Sartre, Camus & Kodak an und ja, auch wir müssen neidlos zugestehen, dass der Instagram-Account ihrer beiden Katzen “Salma” und “Hayek” mehr Follower pro Tag hat, als unser webzine im ganzen Jahr.

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