Review: Solar Fake auf „Manic Episodes Tour“ im Musikzentrum – eine manische Episode (19.02.2016, Hannover)

Manie. Hannover, die Stadt mit dem scheinbar schlechtesten Ruf, was Euphorie, Applaus und obsessives Tanzen angeht. Hannover, nordisch unterkühlt ohne elegantes Elbflair, ohne Berliner Szeneschick, ein Ort von dem eigentlich niemand so richtig weiß, dass dieser provinzielle Ruf hier stoisch vereidigt wird, damit der Untergrund nicht kaputtgestylt, -poliert und unbezahlbar wird, riskiert ab und an, dass KünstlerInnen – vom Publikum gerührt – hier sprachlos vor selbigem salutieren.

Beyond Obsession (Foto: Torsten Volkmer)
Beyond Obsession (Foto: Torsten Volkmer)
Beyond Obsession (Foto: Torsten Volkmer)
Beyond Obsession (Foto: Torsten Volkmer)

Apropos Obsessionen! Beyond Obsession sind irgendwie daneben, irgendwie besessen. Elektrofriese, elegante Kühle an den Keys, ausgiebiges Bewegungsprofil und `ne ordentliche Portion von „VNV-Nation meets Covenant auf 140 bpm getrimmt“. Eine feminine Hommage an Martin Gore, ein Spiel mit Kategorien, das Publikum lässt sich darauf ein, aber ein bisschen daneben ist dann wohl doch Geschmackssache und „treat me softly“ scheinbar eher Motto als von der Band gedacht.

Nach dem Duo ist vor dem Duo..

Solar Fake. Wer angesichts des Szenesterbens annahm, Gothik sei tot, der erlebte an diesem 19ten eine manische Hochphase, die dem aktuellen Album der Band alle Ehre macht. Eine manische Episode. Sven Friedrich, die Stimme von Zeraphine und Dreadful Shadows, und LiveKeyboarder André Feller mit dem Electro Act Solar Fake im Musikzentrum Hannover gastierend, hätten wohl auch nicht damit gerechnet, dass Hannover – schwarz wie die Liebe – , den Moment genießend, tanzend und unersättlich lustvoll an den Lippen Friedrichs hängend, diesen Abend zu einem Ereignis für Band und Support machen würde.

„What did you say? Where have you gone?
Where are you now? I want some fun!“

Solar Fake (Foto: Torsten Volkmer)
Solar Fake (Foto: Torsten Volkmer)

Alles, was schon in den 80er-90er Jahren Teil einer tatsächlichen Szene gewesen ist, hat die schwarzen Rüschenhemden hochgekrämpelt, die Stahlkappen poliert und genießt die Show der Berliner. An Feller scheint ein Drill-Instructor verlorengegangen zu sein, sein Körper frisst die Synthies, er variiert zwischen kreatürlichem Tastenficker und klatschendem Springinsfeld, heizt die Menge an und hat damit Erfolg. Friedrich, der elegantere Widerpart, Stimme und Seele des Projekts, schummelt sich über jedes Härchen vibrierend in die Fasern der HöhrerInnen, ist da zurückgenommener und kann nicht umhin, schon nach wenigen Songs zu bemerken, dass ihn das Publikum komplett begeistere.

„Es gibt so Vorurteile über bestimmte Gegenden,…
aber ihr habt damit überhaupt nüscht zu tun.
Das is‘ ja Wahnsinn.“

Solar Fake spielen sich durch Ihr Repertoire, kündigen zu „Here I Stand“ ein bald erscheinendes Video an, spielen den Song zum jüngst veröffentlichten Clip „I don’t want you in here“ und spitzen den Abend auf Coverversionen von Lana Del Reys „Gods And Monsters“, über The Killers „Somebody told me“ bis zu David Bowies „Heroes“ zu.

“You are unseizable like the sand that runs through my hands
And you’re flowing away with the waves
To alley the pain you can’t stand any more“

Solar Fake (Foto: Torsten Volkmer)
Solar Fake (Foto: Torsten Volkmer)

Zugegeben, dass die Szene heutzutage klatscht, statt stoisch den Blick auf den Boden geheftet, zu tanzen, wird sich der Redaktion nie ganz erschließen und wenn man die Dinge unbedingt kaputtreden will, kann man zynisch anmerken, dass das Set so unendlich variabel ist wie ein die Vibrationsstufen eines Presslufthammers, man könnte sich darüber mokieren vom ersten bis zum letzen Synthie in einem für FotografInnen tödlichen Neben ertrunken zu sein, doch aus Sicht des Publikums, das in dieser Nacht lustvoll auf den Klippen der Manie tanzend, genau das will und diese so rar gewordenen, schwarzen Momente hör- und sichtbar genossen hat, haben Solar Fake alles richtig gemacht.

Früher war mehr Lametta, aber heute is’ auch schön schwarz.

„We always thought the world would be too small for us
We overthrew the things we
couldn’t stand any more
Here I am now, I close my eyes as time has passed us by
And I remember all the thoughts and dreams we’ve had“

Setlist:

Solar Fake (Foto: Torsten Volkmer)
Solar Fake (Foto: Torsten Volkmer)
  1. Not What I Wanted
  2. Fake to Be Alive
  3. No Apologies
  4. Here I Stand
  5. All the Things You Say
  6. Parasites
  7. More Than This
  8. Under Control
  9. Observer
  10. I Don’t Want You In Here
  11. Gods & Monsters (Lana Del Rey Cover)
  12. I Hate You More Tha My Life
  13. The Race Of The Rats
  14. Reset to Default
  15. Somebody Told Me (The Killers Cover)
  16. Heroes (David Bowie Cover)
  17. My Spaces
  18. Stay
    Encore
  19. Under the Skies
  20. (You Think You’re) Radical
  21. Where Are You
    Encore II
  22. If I Were You
  23. Until It’s Over
  24. The Pages

 

Mehr Fotos vom Konzert findet ihr in unserer Galerie:

Desweiteren waren wir auch beim Solar Fake Konzert der Bunker Party in Dresden. Was unsere zauberhafte Kristin dort erlebte, könnt Ihr hier nachlesen.

Links:
www.solarfake.de
www.beyondobsession.de

Isabelle Hannemann
Isabelle Hannemannhttp://www.isabellehannemann.net
Die missratene Hypotaktikerin wird als Redakteurin Schrägstrich Fotografin bei be subjective! geduldet, hat versucht sich als freie Autorin und Herausgeberin verschiedener Artikel und Bände im Bereich der kritischen Sozialwissenschaft für Suchmaschinen selbst zu optimieren und will – wenn sie groß ist – mal sehen. Künstlerisch als Autorin und Fotografin mit diversen Bands und AutorInnen zusammenarbeitend, Texte zu Papier, Gehör und auf die Bühne bringend. Na dann Prost Mahlzeit!

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