Review: IAMX – kollektive Sonntags-Therapiestunde (11.03.2018, Zürich)

IAMX, das Solo-Projekt von Chris Corner, sein persönlicher Fluch, sein persönliches Ventil, seine öffentliche Therapiestunde, seine musikalische Genialität und noch viel sind an diesem Sonntagabend in Zürich live zu erleben. Viel nüchterner und oberflächlicher könnte man auch sagen, dass IAMX alias Chris Corner sein neues Album „Alive In New Light“ herausgebracht hat und nun – so wie es sich nun mal gehört – auf Neues-Album-ist-draußen-Tour ist. Trifft es aber nicht so ganz.

Viel mehr ist es ein typisches IAMX Konzert. Und das ist sehr beruhigend, denn Chris Corner scheint sich mit seinen Dämonen arrangiert zu haben. Er ist zurück auf den Bühnen der Welt und lebt sein künstlerisches Genie wieder öffentlich aus.

Zum Glück!

Das sehen auch die Fans in Zürich so, die bereits beim dritten Song vollkommen aus dem Häuschen sind, mithüpfen, mitsingen und komplett aus sich heraus gehen. Ungewohnt für die Grufti-Szene. Aber sehr erfrischend. Und eindeutig mitreißend. Sowohl auf der Bühne als auch vor der Bühne.

IamX (Foto: Silke Kemnitz bs! 2018)
IamX (Foto: Silke Kemnitz bs! 2018)

Und so lässt sich das Quartett und vor allem Chris Corner nicht lumpen und spielt ein buntes Potpourri quer durch seine Alben. Mit von der Partie sind nahezu alle Klassiker der Vergangenheit und flanieren die brandneuen Songs elegant und schwungvoll. Überhaupt das neue Album: Auch wenn es beim Hören von Disk dem einen oder anderen ein wenig zu sanft und zahm erscheinen mag, live machen die Songs das fehlende Quäntchen wett. Oder ist es Chris Corner, der es einfach versteht, live seinen Songs noch viel mehr Emotionen, Leben und Gefühl mitzugeben? Wie dem auch sei. In jedem Fall ist Chris Corner tatsächlich „Alive In New Light“. Energiegeladen und exzentrisch beim Performen der Songs, dafür umso schüchterner und beschämter zwischen den Songs. Aber dafür hat er ja die beiden Keyboarderinnen/Syntheziserinnen/Gitaristin dabei, die auf der Bühne ihre eigene Therapie ausleben und in ihrer Spielfreude und mit ihrem Sexappeal mehr als ansteckend sind.

IamX (Foto: Silke Kemnitz bs! 2018)

Zumindest soweit das aus dem Zuschauerraum zu sehen ist. Denn die Lightshow fällt insgesamt recht dürftig aus, so dass die Fotografin schwer zu kämpfen hat, in den wenigen etwas helleren Momenten die Stimmung auf der Bühne einzufangen. Aber wenigstens die Nebelmaschine hatte an dem Abend Pause.

IamX (Foto: Silke Kemnitz bs! 2018)

Und so ist dies primär ein Konzert, in dem es ums Hören, Erleben, sich Mitreißen lassen, um Emotionen, Abgründe und Höhenflüge geht. Auch wenn Chris Corner und seine Band durchaus mit ihren extravaganten Kostümen sehenswert gewesen wären. War in der Dunkelheit nur nicht so genau zu erkennen. Macht aber auch nichts. Doch auch an den visuell fixierteren Zuhörer wurde gedacht: so wurde jeder Song durch ein individuelles Video unterstrichen. Und nach viel zu kurzen 1,5 Stunden verschwinden die Musiker leise von der Bühne und das Publikum wird nach Hause entlassen. Schade!

Dafür waren die erlebten 1,5 Stunden umso intensiver und beeindruckender. Oder um es mit den Worten von Chris Corner zu sagen: „IAMX is basically my public therapy. It’s my way of being able to connect with the world, to pour my heart out and dance at the same time. It’s also an excuse for me to play with who I am, to explore certain parts of my personality that I don’t get to explore in everyday life.” Und für die Fans ist es ein Segen, dass Chris Corner diesen Zugang zu seiner Musik wiederentdeckt hat. Und das haben sie bei diesem Konzert ausgiebig gefeiert!

Galerien (by Silke Kemnitz bs! 2018):

IamX (Foto: Silke Kemnitz bs! 2018)

Setlist:

  1. Alive In New Light
  2. Break The Chain
  3. I Come With Knives
  4. Happiness
  5. Stalker
  6. Stardust
  7. Exit
  8. North Star
  9. Body Politics
  10. No Maker Made Me
  11. Spit It Out
  12. Your Joy Is My Love
    Encore
  13. The Alternative
  14. Kiss And Swallow
  15. The Power And The Glory

Links:
http://iamxmusic.com/xiam/

Judith Sander
Judith Sanderhttps://www.be-subjective.de
Es gibt Sucht-Charaktere, die entsagen und es gibt andere, die setzen sich ins Epizentrum ihres Verlangens. Nein, Judith ist keine Schweizer Taschenmesserwerferin, sie ist bekennend schokoladensüchtig und metzelt ohne zu zucken für ‘ne Toblerone oder Eiscreme oder Tobleroneeiscreme oder.. na jedenfalls: Die Frau ist echt Zucker, echt hart drauf, hat ein feines Näschen, legt sich für die richtigen Dinge ins Zeug, in die Kurve und nascht am allerliebsten an kleinen, unbekannten Bands in ruhiger Atmosphäre. Wer die olle Genießerin dennoch ans Messer liefern will, sperrt sie – in einen rosa Rüschen-Alptraum gehüllt – mit stinkenden Dränglern ins Musikantenstadl und nimmt ihr das letzte Milkyway weg.

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