Calexico: The Thread That Keeps Us (2018) Book Cover Calexico: The Thread That Keeps Us (2018)
Indie-Rock, Folk-Rock
City Slang
26.01.2018
www.casadecalexico.com

Tracklist:

  1. End Of The World With You
  2. Voices In The Field
  3. Bridge To Nowhere
  4. Spinball
  5. Under The Wheels
  6. The Town & Miss Lorraine
  7. Flores Y Tamales
  8. Another Space
  9. Unconditional Waltz
  10. Girl In The Forest
  11. Eyes Wide Awake
  12. Dead In The Water
  13. Shortboard
  14. Thrown To The Wild
  15. Music Box

Calexico sind heimgekehrt von ihren Ausflügen in ferne Klanggefilde. Sie haben zurückgefunden zu ihren Indie-Rock-Wurzeln und präsentieren nun ihr zehntes* Studioalbum, prall gefüllt mit 15 neuen Songs. Mit kraftvollen Stimmungsbildern erzählt die 1996 in Tucson/Arizona gegründete Band von Joey Burns und John Convertino, von unserer zerrütteten Zeit und den Mythen einer weit offenen Landschaft mit ihren Bergen, den satten Weiden und dem vielen Himmel darüber.

Auf „The Thread That Keeps Us“ gibt es aber auch spröde Ecken und rissige Kanten, jede Menge übersteuerte Gitarren, Extraportionen Noise und Hintergrundgeräusche im Mix – anders als bei den früheren Alben der Truppe – die mit den unterschiedlichen Musikrichtungen, wie Folk-Rock, Country und Latin-Jazz experimentieren und mit dem sogenannten „Tucson-Desert-Rock“ einen ganz eigenen Stil entwickelten.

Aufgenommen wurde das neue Material unter der Mithilfe von Langzeit-Produzent Craig Schumacher im Panoramic House, einem Studio an der Küste unweit von San Francisco, welches seinerzeit aus Schiffswrackteilen und Treibholz erbaut wurde. Dieser Platz mit dem traumhaftem Blick auf den Pazifik fungiert bereits seit drei Jahren als Aufnahme- und Erholungsrefugium von Calexico. Die Band fühlt sich dort bestens aufgehoben und fand kreative Unterstützung durch den Besitzer John Bacciagalupi, der seine unglaubliche Sammlung von Instrumenten mit in die Produktion einbrachte.

Je offener ein Studio ist,
desto mehr kommt das der Dynamik in unserer Musik zugute.

Die erste Nummer „End Of The World With You“ kommt gleich wie ein alter Klassiker aus dem Repertoire von Burns und Convertino daher. Kräftige Gitarrenakkorde und lang gehaltenes Feedback untermalen den comichaften Text über Licht und Schatten und den Wunsch am Ende nicht allein zu sein.

Aber es gibt auf dem Album auch die stilleren getragenen Stücke. Hinreißende Wüstenballaden, wie das treibende „Voices In The Field“, mit seinen beiden auseinanderdriftenden Gitarrensolos, oder das Instrumentalstück „Unconditional Walz“ mit seinem wehmütigen Trompetenpart.

Etwas aus der Reihe treten Stücke wie „Under The Wheels“ mit Drumcomputer und Reggaegitarre oder die an die späten 50er Jahre erinnernde Streicherballade „The Town & Miss Lorraine“. Da hat man das Gefühl, als stände der gute alte Cliff Richard am Mikro. „Sliding into the sea, with cynicism and rum, watching Miss Lorraine, smoking alone with the moon.“ So zart und einfühlsam hat man Joey Burns wohl noch nicht gehört. Ein ganz wunderbarer Song mit viel Liebe produziert.

Auf „Flores Y Tamales“, wird komplett spanisch gesungen. Offenbar eine Hommage an leckere, gefüllte und in Maisblättern gedämpfte Teigtaschen, wohingegen das funkige „Another Space“ schwer nach Afrobeat klingt – als hätten sich Musiker von Fela Kuti und die Stereo MC’s zusammengetan.

Wenn uns mehr Zeit zur Verfügung gestanden hätte,
hätten wir ein Triple-Album aufnehmen können.

Insgesamt sind die neuen Tracks äußerst vielseitig geraten, vom harschen Blues-Rock („Dead In The Water“) bis zum einminütigen, soundtrackartigen Instrumentalstück („Spinball“) ist einiges geboten. Damit die Stücke nicht zu ähnlich geraten oder sich Wiederholungen einschleichen, hat sich die Truppe eine eigene Qualitätskontrolle auferlegt: „Wenn wir Songs schreiben und mit etwas rauskommen, das zu bekannt in unseren Ohren klingt, kommt immer einer und sagt: Das fühlt sich gut an, aber lasst uns weitermachen und sehen, was wir sonst noch so zum Vorschein bringen können“, erklärt Burns.

Sie brachten die Mariachi-Trompeten in den Pop, kombinierten die Epik des Rock’n’ Roll mit Gitarren-Folk und einer Mixtur aus Latin- und Cumbia-Elementen, dennoch haben sich Calexico auf ihrer Wüstenrock-Formel nie ausgeruht. Auf jedem Album kommen neue Spielarten dazu, so auch auf „The Thread That Keeps Us“. Textlich begibt sich Joey Burns diesmal auf die Suche nach dem Licht in düsteren Zeiten. Wir gehen an seiner Seite. ¡Bien hecho, Amigos!

* („Spoke“, 1996 auf dem bayerischen Hausmusik-Label als LP und 1997 auf CD veröffentlicht, zähle ich als Erstlingswerk ebenfalls zu den Studioalben von Calexico.)

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Axel Ganguin
Axel Ganguin hat ungeduldig die Alchemie der Worte studiert. In alten Büchern, in farblosen Flamingos, in einem Traumzauberbaum. Er hat sie in den Wolken gesucht. In Italien. Im Rotwein. Im Regen. Und manchmal geht er barfuß ins Bett. Er hat die Farbe der Vokale ausgespuckt wie eine tote Auster. Er schrieb ein Schweigen in die Glut und hat sich als Grafik-Designer erfunden. Axel trägt die Klamotten von Nick Drake auf und küsst die Nacht, bis der Spannungsbogen albern knistert. Axel lässt sein Vokabular für uns „mit unversehrtem, bösartigem Herzen, mit einer tyrannischen Unschuld“ zur Ader.